© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z4
«r. 26.
Beilage ;nr Allgemeinen Zeitung.
Donnerstag. 26 Januar
1871.
Aerlaz der Z. >Z. Loita'schcn Buchhandlung. Für die Redaction rerantwortüch: v?. I. 5). Gosen.
Uebersicht.
An Gervinus. (I. und II.)— Der Krieg.
-sterreste Posten. München: Die Adressen an König und Kaiser.
I. Favre in Versailles. Berlin: Armeebefehl- Personalien.
Telegraphische Berichte
* Berlin, 25 Jan. Die „Prov.-Corr." schreibt: „Unsere Opera
tionen in Nord-Frankreich werden demnächst in Zusammenhang mit der
Bewegung deS rechten Flügels unserer II. Armee unter dem Großherzeg
von Mecklenburg noch größere Ausdehnung und Bedeutung gewinnen."
Das ministerielle Blatt bestätigt daß die Reichsrathswahlen am 3 März
stattfinden, der Zusammentritt des Reichstags am 9 März erfolgt.
* London, 25 Jan. Die „Times" knüpft an die Behauptung:
Graf Bismarck besitze seit gestern die vollständige Annahme der deutschen
Friedensbedingungen von Seiten Eugeniens unter Zustimmung Napo
leons, Räsvnnements welche Bedenken gegen die Unterstützung der Wieder
einsetzung des Kaiserreichs durch Deutschland ausdrücken. Anderweitige
Nachrichten als die der „Times" liegen hierüber nicht vor.
* London, 25 Jan. Die Conferenz hat sich gestern bis zum 31 Jan.
vertagt.
Diese Depeschen aus dem Hauptblatt hier wiederholt.
* SaardrüE«n, 25 Jan. Aus Versailles, L4Jan., wird gemeldet:
Auslastungen der Gefangenen vom 19 d. stellen den Zustand von Paris
so dar, daß eine baldige letzte Entscheidung wahrscheinlich ist. Der Nebel
ist unserer Belagerungsariiller ie einigermaßen hinderlich.
* Dresden, 25 Jan. Das Antwortschreiben des Königs auf das
Schreiben des Königs Wilhelm betreffs der Uebernahme der deutschen
Äaiserwürde lautet: „Ew. Majestät geehrtes Schreiben, welchesJch durch
Ihren Gesandten empfieng, hat Mich mit hoher Befriedigung erfüllt.
-Innig erfreut über das in demselben ausgesprochene Anerkenntnis der
Gesinnungen die Mich in dieser Angelegenheit geleitet, erkenne Ich in der
Erfüllung des von uns einstimmig gestellten Antrags ein Pfand des Heiles
für das große Vaterland. Die edlen Absichten welche Ew. Majestät
Lei dieser Gelegenheit an den Tag legen und welchen Ich vollkommen bei-
stimmen kann, erwecken die beste Hoffnung auf eine glückliche Zukunft für
das wieder aufgerichtete Reich deutscher Nation; mög» es Ew. Majestät
zunächst durch Gottes Hülfe gelingen den so ruhmreich begonnenen
und fortgesetzten Kampf siegreich zu Ende zu führen, möge auch der Geist
Weiser Mäßigung, der Ew. Majestät Schritte kettet, unS m nicht zu ferner
Zeit die Wohlthat eines ehrenvollen, gesicherten und dauernden Friedens
zuthei! werden lasten, möge dann Deutschland unter Ew. Majestät kräfti
ger und umsichtiger Führung die Segnungen desselben in vollem Maße
genießen, die unvermeidlichen Wunden des schweren Kampfes sich allmäh
lich schließen sehen, nach außen hin als ein geachtetes Mitglied der euro
päischen Völkerfamilie seine Stimme für alles Gute und Rechte zur Gel
tung bringen."
* Bordeaux, 24 Jan. Aus Lyon wird der Regierung gemeldet:
Die Eisenbahnlinie Lyon - Besanvon ist bei Byans durch feindliche Plänk
ler unterbrochen. Aus Paris sind keine Nachrichten vorhanden.
* Havre, 24 Jan. Der Feind räumte Orbec wieder nachdem er
der Stadt eine Contribution von 40,000 Francs auferlegt. Der Maire
und drei Municipalräthe wurden gefangen fortgeführt. Die Preußen stell
ten den Vormarsch auf Lisieux ein. Die Bewegung war nur bestimmt
um den Vormarsch stärkerer feindlicher Truppenmasten auf Rouen zu
vecken. Diese Abtheilung, die angeblich gegen 20,000 Mann stark ist,
soll augenscheinlich zur Armee Göbens stoßen.
* Brüssel, 24 Jan. Der Adjutant Trochu's, d'H6riston, der in das
deutsche Hauptquartier mit dem Ansuchen eines 48stündigen Waffenstill
stands gesandt wurde, soll, wie verlautet, auch den Auftrag gehabt haben
sich über die Stimmung zu unterrichten welcher die Vorschläge wegen
Räumung der Hauptstadt seitens der BefatzungSIruppen im feindlichen
Hauptquartier begegnen würden.
Telegraphische Curs- und Handelsberichte siehe fünfte Seite.
An Gervinus. *)
I.
* Hr. G. G. Gervinus hat meiner Besprechung seiner Vorrede zur
neuesten Auflage der „Geschichte der deutschen Dichtung" („National-Ztg."
peinlichen Streit über die edlen Todten zu schließen. Mögen
sie über den EntwicklunAkgang unserer vaterländischen Angelegenheiten gedacht
haben wie GervinnS will, oder wie seine Gegner behanp'en, so widerstrebt cs
doch unsern: Gefühl sic von jenen lichten Höhen, auf welche ihr eigenes un
sterbliches Verdienst und die dankbare Verehrung unsers ganzes Volkes sie
gestellt, in die erhitzten Debatten des Tages herabsteigen zu lasten. Wenn
irgendwo, so gilt auf dem Gebiete der prak-ischen Politik daS Wort des Dich-
terS: „Nur der Lebende hat Recht'" D. R.
vom 7 Jan. u- ff) eins Erwiederung gewidmet, welche in der Beilage zu
Nr. 17 der Allg. Zig. unter dem Titel „Eine Nachschrift zu einem Vor
wort" publicirt ist. Die Art wie er mich darin behandelt, verräth einen
nicht unerheblichen Grad übler Laune- Wenn ich an Nervenschwäche
oder sonstiger Reizbarkeit litte, oder wenn ich, statt von der Parteien wil
dem Gewoge, nur von anbetenden Bewunderern umgeben wäre (quod deus
avertatl), so würde ich vielleicht der Gefahr ausgesetzt sein in eine gleiche
Tonart zu verfallen, welche ja bekanntlich stets ihr dankbares Publicum
findet. Glücklichertveife existiren solche Voraussetzungen nicht. Ich werde
daher, obgleich entschiedenster Gegner in der Sache, nicht Krieg gegen die
Person führen, und unter keinerlei Umständen die Achtung beiseite setzen '
welche ich vor den wiffenschastlichen Verdiensten Gervinus' hege, und der
ich auch in jener Besprechung in der „National-Ztg." Ausdruck gegeben habe,
welche Besprechung, wie cs scheint, seinen Zorn ein wenig erregt hat. Zu
fällig kam mir dieser Tage eine Streitschrift wieder zur Hand welche Ger
vinus vor vielen Jahren unter dem Titel „Historische Briefe, veranlaßt
durch Heeren und das Archiv von Schlosserund Berchl" (Hadamar
und Weilburg 1832, Druck und Verlag von Ludwig Emil Lanze), anonym
gegen seinen Göttinger Colleges den Profeffor Heeren, de» verdienstvollen
Verfaster der „Ideen über Politik, Verkehr und Handel der alten Welt,"
veröffentlichte. Diese Streitschrift trägt als Motto die Worte des heiligen
Hieronymus: „Nicht ich antworte dir, sondern die Sache der Sache."
Heeren, damals schon ein alter Herr von 72 Jahren — ich lernte ihn un
gefähr 8 Jahre später in Göttingen kennen, und erinnere mich heute noch
gern des ehrwürdigen Greises--Heeren und seine Freunde meinten zwar:
der scharf polemische Inhalt der Broschüre entspreche wenig dem heiligen
Motto. Ich will dieß jedoch hier nicht Untersachen, sondern beschränke
mich auf die Versicherung daß ich meinerseits mich bemühen werde der Vor--
schrift des heiligen Hieronymus gerecht zu werden. Doch zur Sache!
Zunächst ist es nöthig den Stand der Streitfrage zu constatiren. Weit
entfernt die von anderer Seite in Zweifel gezogenen wiffsnschaftlichrn Ver
dienste von Gervinus irgendwie zu bestreiten, habe ich, nicht anonym, son
dern mors Lollto mit offenem Visir kämpfend, dm Beweis zu führen ge«-
sucht daß Hr. Gervinus .schon seit langen Jahren, sobald er das Gebiet
der. praktischen Tagespolitik betritt, in seinem Urtheil irrt. und daß von
feinen politischen Prophezeiungen stets das Gegentheil emtrttr. Hregegen
ist seine Erwiederung nicht gerichtet.
Ich habe ferner hervorgehoben daß er zwar mit dem größten Nachdruck
behauptet daß, wenn W. Grmnn, I- Grimm und F. C Dahlmann 1666 und
1870 erlebt hätten, sie seine pessimistischen Anschauungen getheilt haben wür
den, daß er jedoch für diese Behauptung auch nicht den entferntesten Schat
ten eines Beweises oder auch nur einer Wahrscheinlichkeit beigebracht hat^
und daß daher wir andern bestreiten müssen daß er ein Recht hat Geister
zu beschwören, und von ihnen seine jetzige Doctrin hersagen zu kaffen.
Wir findtbefugl dieß zu bestreiten; denn wir liebe» diese drei Lehrer der
Nation, und dürfen daher verlangen daß ihr Andenken nicht in unserm
Gedächtniß getrübt wird. Gervinus erklärt nun: zu einem solchen Pro
test halte er mich „für am wenigsten berechtigt und berufen," und er habe
gerade mir gegenüber am wenigsten „Lust eine Erwiederung zu geben."
Gründe für diese Auffassung führt er natürlich nicht an. Und in derThat
find sie auch durchaus nicht nöthig. Denn da er unmittelbar darauf die
„Erwiederung doch gibt," so hat er gewiß ganz recht wenn er keine Gründe
mittheilt warum er die „Erwiederung nicht gibt." Prüfen wir nun den
Inhalt dieser Erwiederung. Sie enthält leider nur ein einziges thatsäch
liches Moment, nämlich die Berufung auf einen bereits gedruckten Satz
von Jacob Grimm. Dieser schreibt nämlich am 26 Nov. 1859 an Franz
Pfeiffer: „Der traurige (italienische) Krieg und der unselige Friede (von
Villafranca),habe ihm den Sommer verdorben, die deutschen Hoffnungen
! seien dadurch heruntergekommen, und das Verhältniß Oesterreichs zu
! Deutschland sei wieder viel unsicherer geworden " Daraus folgert denn
! Gervinus: Jacob Grimm würde auch den „Bruderkrieg" von 1666 und
! die Ereigniffe die darauf folgten, namentlich die Annexion von fünf selb-
! ständigen „Stammkörpern" und die „Antastung des hessischen Volk«
thums," auf das heftigste getadelt haben; ja, „ihm würde das Herz gebro
chen fein vor Jammer, wenn er hätte erleben müffen daß man seinem Hes
senvolke, das feit zweitausend Jahren mit uralten Namen auf uralten
Sitzen haftet, mit einem Federstrich sein selbständiges Dasein vernichten
durfte!"
Meiner Meinung nach nun besteht zwischen Grimms Wort von 1859,
und dem was Gervinus für 1866 und für 1870 daraus folgert, nicht der
geringste Zusammenhang. Grimm beklagt den Frieden von Villafranca.
Welcher gute Deutsche hat diesen übereilten Friedensschluß nicht beklagt?
Aber wurde dieser Friede denn geschloffen von Preußen? Nein, sondern