Full text: Biographien von Jacob und Wilhelm Grimm

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W,. K. Grimm. 
bendkgste. Der Großvater, Kanzlekrath Zimmer, schon da 
mals hoch bejahrt, lebte im Ruhestand. Er war um die Per 
son des Landgrafen Wilhelm VM. gewesen, als der sieben, 
jährige Krieg diesen Fürsten nöthigte, sein Land zu verlassen, 
und eine gleichmäßige Freundlichkeit, Milde und Nachsicht 
war ihm wohl aus dieser Stellung eigen geworden. Er star^ 
oder vielmehr er schlief ohne Krankheit ein im Jahr 18V? o 
in einem Alter von fast SV Jahren, noch im vollen Besitze 
seiner Geisteskräfte; die Großmutter war ihm, doch auch 
schon sehr bejahrt, vorangegangen. Beide behandelten uns 
mit jener großen Zärtlichkeit, die Enkeln gewöhnlich zu Theil 
wird, und ich erinnere mich noch sehr gut, wie der Großva 
ter, wenn wir späterhin ihn von Steinau aus besuchten, oft 
stundenlang sich zu uns setzte, seine zitternde Hände auf den 
Tisch legte und zusah, wie wir aus Niebuhrs arabischer Reise 
die Kupfer kopierten. Bis zu seinem Ende, als er die Feder 
nur noch mit Mühe halten und nur mit großer Anstrengung 
schreiben konnte, ertheilte er uns in Briefen die liebreichsten 
Lehren. — Des Abzuges der Aeltern nach Steinau erinnere 
ich mich noch als eines wichtigen Ereignisses; ich saß im Wa 
gen auf einem Kästchen zu Füßen der Mutter und sah den 
blühenden Weißdorn an den Fenstern der Kutsche vorbeieilen, 
wenn diese zwischen Hecken hinfuhr. Ich kann übergehen, was 
Jakob schon von unserm Aufenthalte in Steinau erzählt hat. 
Ich erfreute mich in der ersten Jugend der vollkommensten 
Gesundheit und that es darin allen Geschwistern zuvor; ich 
erinnere mich nicht einmal eines leichten Uebelbefindens und 
selbst die Blattern, an welchen wir Geschwister alle darnieder 
lagen, konnten mir nichts anhaben. Jakob war von dieser 
furchtbaren Krankheit heftig ergriffen, das ganze Gesicht, auch 
die Augen waren bedeckt, und fünf oder sechs Tage lag er 
völlig erblindet. Ich weiß noch, wie er nach seiner Genesung 
zum erstenmal an einem sonnigen Tage spazieren gefahren 
wurde, und mit dem fleckigen und . narbigen Gesichte, aber 
ganz unentstellten Zügen, im Wagen saß. Die Narben sind 
hernach bis auf wenige Spuren völlig verschwunden und der 
natürliche Ausdruck hat im mindesten nicht gelitten. Die Ge 
gend von Steinau hat etwas angenehmes. Oft sind wir zu 
sammen in den Wiesenthälern und auf den Anhöhen umherge 
gangen; der Sinn für die Natur mag uns, wie Vielen, an 
geboren seyn, aber er ist doch auch auf diese Art genährt 
und begünstigt worden. Noch jetzt weiß ich nichts, was so 
sicher die friedliche Stimmung der Seele, in welcher alles 
Glück beruht, Hervorrufe, als ein einsamer Spaziergang, wü 
kein Gespräch und Unterhaltung uns an die Bemühungen des
	        

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