I. L. K. Grimm.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 269
Vierteljahr vorher zu Paris verrichtete, und gegen die nen-
modische Pariser Kleidung mußte ich in steifer Uniform mit
Puder und Zopf stecken. Dennoch war ich zufrieden und suchte
alle meine Muße dem Studium der Literatur und Dichtkunst
des Mittelalters zuzuwenden, wozu die Neigung auch in Paris
durch Benutzung und Ansicht einiger Handschriften, so wie
durch den Ankauf seltner Bücher angefacht worden war.
Auf diese Weise verstrich nicht völlig ein Jahr, als Utt<
geahnte Stürme über unser Vaterland hereinbrachen, die auch
mich betreffen und aus dem kaum betretenen Wirkungskreise
stoßen sollten. Gleich nach der feindlichen Okkupation verwan
delte sich das Departement des Kriegskollegiums, wobei ich
den Dienst zu versehen hatte, in eine für's ganze Land errich
tete Truppenverpflegungskommission. Mit der französischen
Sprache konnte ich mir besser als die übrigen helfen, und ein
großer Theil der lästigsten Geschäfte fiel auf meine Schultern,
so daß ich ein halbes Jahr lang weder Tag noch Abend Ruhe
hatte. Müde, mich mit den franz. Kommissars und Verwal-
tungsbcamten, die uns damals überschwemmten, länger zu
befassen und fest entschlossen, bei der neubevorstehenden Orga
nisation um keinen Preis in diesem Fach angestellt zu bleiben,
nahm ich, so bald cs angicng, meine Entlassung, fand mich nun
aber eine Zeitlang wieder außer Diensten und unfähiger als
vorher, zur Erleichterung der Mutter und der Geschwister bei
zutragen. Ich glaubte um einen Posten bei der öffentlichen
Bibliothek in Kassel werben zu können, da ich mich theils in
das Lesen von Handschriften eingeübt, theils durch Privatstu
dien mit der Geschichte der Literatur vertrauter gemacht hatte,
auch wohl fühlte, daß ich in diesem Fache größere Fortschritte
thun würde, während mir die Erlernung des französ. Rechts,
in das sich unsere Jurisprudenz zu verwandeln drohte, ganz
verhaßt war. Allein die gewünschte Stelle wurde einem an
dern zu Theil, und nachdem das kummervolle Jahr 1807 ver
gangen und das neue mit stets getäuschten Aussichten begon
nen war, hatte ich bald den tiefsten Schmerz zu empfinden,
der mich in meinem ganzen Leben betroffen hat. Den 21ten
Mai 1898 starb, erst 52 Jahr alt, die beste Mutter, an der
wir alle mit warmer Liebe hiengen, und nicht einmal mit
dem Trost, eins ihrer sechs Kinder, die traurig ihr Sterbe
bett umstanden, versorgt zu wissen. Hätte sie nur noch we
nige Monate gelebt, wie innig würde sie sich meiner verbes
serten Lage erfreut haben!
Ich war durch Joh. v. Müller Empfehlung dem dama
ligen Kabinetssckretar des Königs tlousiu de Marinvüle be
kannt und als tauglich zur Verwaltung der Privatbibliothck,