Full text: Biographien von Jacob und Wilhelm Grimm

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I. L. K, Grimm. 
Len, pflegte ich wie fremde Menschen, mit denen ich nicht recht 
vertraut umgehen dürfte, anzusehen, und von Katholiken, die 
aus dem eine Stunde weit entlegenen Salmünster oft durch 
reisten, gemeinlich aber schon an ihrer bunteren Tracht zu er 
kennen waren, machte ich wohl mir scheue, seltsame Begriffe. 
Und noch setzt ist es mir, als wenn ich nur in einer ganz ein 
fachen, nach reformirter Weise eingerichteten Kirche, recht von 
Grund andächtig seyn könnte; so fest hängt sich aller Glaube 
an die ersten Eindrücke der Kindheit, die Phantasie weiß aber 
auch leere und schmucklose Räume auszustatten und zu beleben, 
und größere Andacht ist nie in mir entzündet gewesen, als 
wie ich an meinem Konfirmationstage nach zuerst empfange, 
nem heil. Abendmahl auch meine Mutter um den Altar der 
Kirche gehen sah, in welcher einst mein Großvater auf der 
Kanzel gestanden hatte. Liebe zum Vaterland war uns, ich 
weiß nicht wie, tief eingeprägt, denn gesprochen wurde eben 
auch nicht davon, aber es war bei den Aeltcrn nie etwas 
vor, aus dem eine andere Gesinnung hervorgeleuchtet hätte; 
wir hielten unsern Fürsten für den besten, den es geben könnte, 
unser Land für das gesegnetste unter allen; es fällt mir ein, 
daß mein vierter Bruder, der von uns hernach am frühsten 
und längsten im Ausland leben mußte, als Kind auf der hes 
sischen Landkarte alle Städte größer und alle Flüsse dicker 
malte. Mit einer Art von Geringschätzung sahen wir z. B. 
auf Darmstädter herab. Wir wurden bei einem Stadtprä- 
zeptor Zinkhan unterrichtet, von dem wenig zu lernen war, 
außer Fleiß und strenge Aufmerksamkeit, aber aus dessen cha» 
rakteristischcin Benehmen uns eine Menge ergötzlicher Späße, 
Redensarten und Manieren zurückgeblieben ist. Den Zeiger 
auf dem weißen Zifferblatt der nämlichen Wanduhr, die schon 
damals in der älterlichen Stube stand und noch jetzt in mei 
ner Wohnung geht, sehe ich mir manchmal darauf an, ob er 
mir die Ankunft oder das ersehnte Weggehen des Schulmei 
sters in dem himmelblauen Rock mit schwarzer Hose und Weste 
ankündige. Bald wurde es nothwendig, auf unsere gründli 
chere Unterweisung Bedacht zu uehmcn. Das Vermögen der 
Mutter war schmal und sie hätte nns sechs Kinder schwer auf 
erziehen können, wenn nicht eine ihrer Schwestern, Henriette 
Philipp'ine Zimmer, die bei der höchstsecl. Kurfürstin, oder 
damaligen Landgräfin von Hessen, erste Kammerfrau und von 
der reinsten, aufopfernden Liebe zu uns beseelt war, sie treu 
lich unterstützt hatte. Diese ließ mich und meinen Bruder 
Wilhelm also im I. 1788 nach Kassel kommen und in Kost 
geben, damit wir uns auf dem dortigen Lyzeum ausbilden 
sollten. Ich konnte erst in Unterquarta gesetzt werden, so sehr
	        
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