© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
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256 Altdeutsche Predigten. XXXII. Bd.
z. B. 4^2, als er lehren will, wie man in der Ehe leben solle:
ihr geistlichen Leute, geht jetzt heim! oder 446: da könntet ihr
andere schlafen; oder hört mit ihnen zu; vielleicht seyd ihr auch
bald Eheleute! Dafür wird er selbst namentlich angeredet oder
angerufen durch scheinbare Einwürfe, die er den vorgetragenen
Lehren entgegenstellt. Beyspiele in den oben gegebenen Auszü
gen. Oder er nimmt wirklich gemachte Einwendungen frisch
auf, die ihm zu Ohren kommen, S. 435: man hat mir gesagt,
daß gestern einer sprach: »pfi Bruder Bert hold, du predigst
so gar schreckenhaft von unrechtem Gut, daß ich beynahe verzwei*
felt bin.« Das wäre mir Leid, o welche Macht Reue und
Buße vor Gott hat! Aber, fügt er hinzu, ihr Unschuldigen laßtö
euch nicht verdrießen. Wie heilig die Buße sey, Unschuld ist
noch tausend Mal besser. Eure guten Werke wachsen euch zum
Lohne, darum hütet euch vor Sünden. Ihr junge Welt, hatte
man e u er n V a t e r n so gepredigt von dem großen Scha
det, sie hätten sich besser behütet. Laßt euch nicht weisen aus
euerm linden Wege, und ihr Sünder nicht ans euern harten We
gen! — Mit derselben Lebhaftigkeit werden die Sünder nach ih
ren einzelnen Verbrechen angefahren, gewöhnlich mit dem Aus
rufe pfi} der in der alten Sprache einen weit allgemeineren Sinn
hatte, als unser jetziges pfui; pfi du relite tcerin! 58. pfi si-
mon! 13. pfi trüllerin ! 126. pfi fräz! 196. pfi Verräter!
5q und in fast allen Predigten pfi gitiger! Selbst diese und
ähnliche Wiederholungen, wieder nach jedem Verdammungsur-
theil mild hinzugefügten Klausel: Buße und Reue ausgenommen!
müssen zum Nachdruck beygetragen haben. Dahin gehören auch
seine Lieblingsformeln.' du mußt so lange zur Hölle seyn, als
Gott ein Herr im Himmel ist, i33, 193, 200, und: der Teufel
wird dir den Lohn dafür geben, ihm zerrinne dann alles Feuers,
das er irgend har! 70, 126, 307, 319, 382.
Ich bin unvermerkt wieder in die Eigenheiten der Bertholdi-
schen Beredtsamkeit hineingerathen, von denen ich lange nicht
alles, doch genuq angeführt habe, um auch andere zur Lesung des
merkwürdigen Buches zu reizen. Keins unter den verwichenen
Jahrhunderten ist in vieler Beziehung unserer Gegenwart so ver
gleichbar, wie das dreyzehnte, ich meine in Empfänglichkeit für
r sittliche und geistige Ausbildung. DaS feine, gesellschaftliche Le-
^ tan ^ k ctma ^ in manchen Stücken auf der Spitze, für äußer-
/' c ' riches Benehmen und Betragen scheint eine feste Regel gegolten
zu haben, die später ganz verwilderte? Und selbst diese Verfeine
rung zeigt sich noch deutlich im Zusammenhang mit der älteren
rohen Zeit, aus der sie wie eine Blüte hervortrat, während die
Lebensart unserer Tage oft aus der Fremde geborgt, und, so gefäl
lig sie dünken mag, undeutsch ist.