Full text: Berthold, des Franciskaners deutsche Predigten, aus der zweiten Haelfte des dreizehnten Jahrhunderts

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verderbe, ließ ihm der Herr einen Theil unterthänig blei 
ben; aber der größere Theil ist uns feind und ungehor 
sam. Und die uns diensthast sind, die muß man dazu 
zwingen. So dient alles Gott, jegliches in der Weise, 
wie er es geschaffen hat, aber nicht aus rechter Liebe 
und Minne, nur von Natur. Wiewohl Gott alles auS 
nichts erschaffen hat, so hat er doch jegliches anders er 
schaffen. Jedes hat Wesen und Namen; aber nicht jedes 
hat Wesen und Leben und Empfindung und Vernunft. 
Der Stein hat nur Wesen; die Gewächse der Erde We 
sen und Leben, aber sie empfinden nichts; der Baum zap 
pelt und ruft nicht, wenn er abgehauen wird; aber er 
hat Leben; denn wenn man ihn abhaut, so dorret er, 
weil ihm die Kraft genommen ist, wovon er lebt. Aber 
die Thiere alle haben Empfindung dazu; denn sie fürch 
ten und fliehen Schmerz und Tod. Den Menschen hat 
Gott über alles geadelt, weil er auch noch vernimmt. 
Da ihn Gott nach sich selber gebildet, so erkennt er Gu 
tes und Böses, von wannen er gekommen ist, und wozu er 
werden soll. Andere Kreaturen empfinden nur Hitze und 
Kälte u. s. f. — So dienen sie Gott nur von Natur. 
Maria aber dient Gott aus herzlicher Liebe und aus 
Minne, und noch dazu von Natur. Ihre Vernunft hat 
sie an manchen Dingen wohl erzeigt, da sie in dieser Un 
flaten Welt also wandelte, daß sie Gott je gehorsam 
war, unverbrüchlich mit Worten und Werken. Die Ver 
nunft hatte auch nie ein Mensch mehr, als ihr heiliges 
liebes Kind. Sie hatte auch die Vernunft vor aller Welt.
	        
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