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verderbe, ließ ihm der Herr einen Theil unterthänig blei
ben; aber der größere Theil ist uns feind und ungehor
sam. Und die uns diensthast sind, die muß man dazu
zwingen. So dient alles Gott, jegliches in der Weise,
wie er es geschaffen hat, aber nicht aus rechter Liebe
und Minne, nur von Natur. Wiewohl Gott alles auS
nichts erschaffen hat, so hat er doch jegliches anders er
schaffen. Jedes hat Wesen und Namen; aber nicht jedes
hat Wesen und Leben und Empfindung und Vernunft.
Der Stein hat nur Wesen; die Gewächse der Erde We
sen und Leben, aber sie empfinden nichts; der Baum zap
pelt und ruft nicht, wenn er abgehauen wird; aber er
hat Leben; denn wenn man ihn abhaut, so dorret er,
weil ihm die Kraft genommen ist, wovon er lebt. Aber
die Thiere alle haben Empfindung dazu; denn sie fürch
ten und fliehen Schmerz und Tod. Den Menschen hat
Gott über alles geadelt, weil er auch noch vernimmt.
Da ihn Gott nach sich selber gebildet, so erkennt er Gu
tes und Böses, von wannen er gekommen ist, und wozu er
werden soll. Andere Kreaturen empfinden nur Hitze und
Kälte u. s. f. — So dienen sie Gott nur von Natur.
Maria aber dient Gott aus herzlicher Liebe und aus
Minne, und noch dazu von Natur. Ihre Vernunft hat
sie an manchen Dingen wohl erzeigt, da sie in dieser Un
flaten Welt also wandelte, daß sie Gott je gehorsam
war, unverbrüchlich mit Worten und Werken. Die Ver
nunft hatte auch nie ein Mensch mehr, als ihr heiliges
liebes Kind. Sie hatte auch die Vernunft vor aller Welt.