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bewegten fich nicht in zierlicher, weltkundiger Gefellfchaft, hatten keinen
Zutritt zu den koftbaren Kunftwerken einheimifcher und fremder Dich
tung, ftunden überhaupt nicht auf der Höhe der Zeitbildung. Dazu
kam dafs ihnen ihr Stoff weit gröfsere Schwierigkeiten darbot, denn er
lag nicht, wie die franzöfifchen Vorbilder des Rittergedichts, fchon fertig
da, fondern mufste noch erft gefammelt werden. Difs hatte feine Schwie
rigkeit. Wenn auch die einzelnen Lieder eines Kreifses in der Hauptfachc
fleh nicht widerfprachen, fo konnte doch das Ganze das durch ihre Ver
einigung entftand, unmöglich von Unklarheiten und Widerfprüchen, von
Lücken und Wiederholungen vollkommen frei fein. Diefe Gebrechen zu
tilgen, war die Aufgabe der Ordner die fich dem edeln Werk unterzogen.
Dafs fie damit nicht völlig zu Stand gekommen find, dafs wir jene Dich
tungen nicht in die Reihe der Kunftwerke ftellen dürfen, kann ohne Nach
theil zugegeben werden, da fich der billichdenkende durch den hohen Geift
und edeln, jugendlichen Schwung der ihnen von ihrer Herkunft aus dem
Volksliede noch eigen ift, hinreichend entfehädigt findet. Wäre nicht ebeu
damals ein verengender Hauch von Glaubenshafs und Bruderkrieg über
die Blüten des deutfehen Gcifteslebens ergangen, fo hätten die erften Ver-
fuche weitere, gelungnere zur Folge gehabt; und wie die deutfehe Bau-
kunft hätte ‘die deutfehe Dichtkunft Werke hinterlaffen, die auch in Hin
ficht auf äufsere Schönheit, auf lautere Faffung unbedingten Preis ver
dienten.
Mängel und Vorzüge des erften Verfuchs haben die Nibelungen vor
der Gudrun voraus. Der Unbekannte der die Lieder von Krimhildens Liebe,
Leid und Rache zu einem Ganzen zufammengeftellt hat, trat feinem Ge-
genftande noch mit fo viel Scheu gegenüber, dafs es der neueren Forfchung
gelingen konnte an feiner Arbeit die alten Lieder von der fpäteren Zu-
that zu fcheiden. Raum darf man hoffen dafs bei der Gudrun etwas Aehn-
liches je gefchehen werde. Sie ift zwar ihrem ganzen Tone nach noch
durchaus volksthümlich, aber doch fchon minder ftreng als die Nibelungen;
und allem Anfcheine nach verfuhr der Sammler, aufgemuntert durch die
That eines Vorgängers, mit feinem Stoffe fchon kühner.
Wie er, ganz anders als der des Nibelungen-Liedes, etliche Male,
z. B. in Str. 793, fein Ich hervortreten läfst, fo glaubt er fich auch nicht
gebunden die einzelnen Lieder die ihm vorliegen, unverändert unter fich zu
verbinden, erfetzt vielmehr bei Einzelnem was unentbehrlicher Beftandtheil