Full text: Der Stern der Erlösung

ERSTER TEIL: ERSTES BUCH 
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wenn er wahrhaft atheistisch sein und weder im Pantheismus 
stecken bleiben noch im reinen, von jeder besonderen Be 
ziehung auf Gott und Götter freien Nihilismus verwehen will. 
So sind hier in Nirwana und Tao die Baupläne entworfen, 
nach denen bis zum heutigen Tag jedes Gebäude errichtet 
werden muß, wohin das Denken über Gott sich vor der 
Stimme des wahren Gottes flüchten will. Hier allein ist es vor 
dieser Stimme sicher, — securus adversus deos so gut wie 
adversus Deum. Von hier führt kein Weg mehr zurück. Das 
Nichts ist ein fester Pflock; was an ihn angepflöckt ist, reißt 
sich nicht mehr los. Und nur weil diese letzte Abstraktion 
von allem göttlichen Leben dem lebendigen Selbst des 
Menschen und den lebendigen Welten der Völker unerträglich 
ist und deshalb das Leben auf die Dauer stets wieder gewaltig 
wird über die lebensflüchtige Blässe der Abstraktion — kurz 
weil es das Schicksal der Anhänger Buddhas wie Laotses ist, 
daß ein blühendes Heidentum die starren Steinblöcke ihrer 
Ungedanken wieder überwuchert, nur deshalb mögen auch in 
ihrem Bannkreis die Ohren der Menschen noch wieder emp 
fänglich werden für die Stimmen, vor denen jene Männer einst 
sich in den schallsicheren Räumen des Nirwana und Tao 
bargen. Denn nur wo Leben ist, und sei es auch götter- 
trunken=gottfeindliches Leben, nur dort findet die Stimme des 
Lebendigen Widerhall. Im leeren Raum des Ungedankens, in 
den sich die Gottesangst flüchtet, die zur Gottesfurcht nicht 
den Mut aufbrachte, verhallt jene Stimme ins Leere. Die 
Götter des Mythos, mochten sie auch nicht über ihr um 
mauertes Reich hinausleben, — immerhin: sie lebten. Indiens 
wie Chinas Gott, auch schon vor der letzten Verflüchtigung 
zum Nirwana und Tao, teilt die Schwäche jener Götter des 
Mythos: nicht über sich selber hinaus zu können. Aber er ist 
ihnen unendlich unterlegen in seinem Stehenbleiben auf halbem 
Weg, in seiner Unkraft zu dem, was aus den Göttern des 
Mythos gewaltig atmet: dem Leben. 
W enn je Gott über seine hier schon erreichte Lebendig 
keit hinausgehen sollte und zum lebendigen Gott des 
Lebens werden, so müßte das bisher auf dem Wege vom
	        
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