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TOR
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Im innersten Heiligtum der göttlichen Wahrheit, wo ihm
seiner Erwartung nach alle Welt und er selber sich zum
Gleichnis herabsinken müßte für das, was er dort erblicken
wird, erblickt so der Mensch nichts andres als ein Antlitz gleich
dem eigenen. Der Stern der Erlösung ist Antlitz worden, das
auf mich blickt und aus dem ich blicke. Nicht Gott, aber Gottes
Wahrheit ward mir zum Spiegel. Gott, der der Letzte ist und
der Erste, er schloß mir die Pforten des Heiligtums auf, das in
der innersten Mitte erbaut ist. Er ließ sich schauen. Er führte
mich an jene Grenze des Lebens, wo die Schau verstattet ist.
Denn kein Mensch bleibt im Leben, der ihn schaut So mußte
jenes Heiligtum, darin er mir sich zu schauen verstattete, in
der Welt selber ein Stück Überwelt, ein Leben jenseits des
Lebens sein. Aber was er mir in diesem Jenseits des Lebens
zu schauen gab, das ist — nichts andres als was ich schon in
der Mitte des Lebens vernehmen durfte; nur daß ich es schaue,
nicht mehr bloß höre, ist der Unterschied. Denn die Schau
auf der Höhe der erlösten Überwelt zeigt mir nichts andres,
als was mich schon das Wort der Offenbarung mitten im
Leben hieß; und im Lichte des göttlichen Antlitzes zu wan
deln, wird nur dem, der den Worten des göttlichen Mundes
folgt. Denn — »er hat dir gesagt, o Mensch, was gut ist, und
was verlangt der Ewige dein Gott von dir als Recht tun und
von Herzen gut sein und einfältig wandeln mit deinem Gott«.
Und dies Letzte ist nichts Letztes, sondern ein allzeit Nahes,
das Nächste; nicht das Letzte also, sondern das Erste. Wie
schwer ist solch Erstes! Wie schwer ist aller Anfang! Recht
tun und von Herzen gut sein — das sieht noch aus wie Ziel.
Vor jedem Ziel kann der Wille noch erst ein wenig ver
schnaufen zu müssen behaupten. Aber einfältig wandeln mit
deinem Gott — das ist kein Ziel mehr, das ist so unbedingt, so
frei von jeder Bedingung, von jedem Erstnoch und Über
morgen, so ganz Heute und also ganz ewig wie Leben
und Weg, und darum so unmittelbar der ewigen Wahr
heit teilhaft wie Leben und Weg. Einfältig wandeln mit
deinem Gott — nichts weiter wird da gefordert als ein ganz