DER STERN ODER DIE EWIGE WAHRHEIT
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in die es seinen letzten Überschwang sammelte. Weiter als
bis zu diesen Ziel- und Sammelpunkten trug der Überschwang
nicht. Das Christentum hat spiritualistische, individualistische,
pantheistische Mystik hervorgebracht. Untereinander traten
diese drei in keine Verbindung. Das Gefühl kann sich in jeder
von ihnen befriedigen. Wie denn jeder von ihnen auch eine
eigne Gestalt der Kirche entspricht, deren keine durch die
beiden andern überflüssig wird. Das Gefühl kommt überall
ans Ziel. Und es darfs. Denn wo es so an sein Ziel kommt,
da ist ein Stück Vorwelt erneuert in Sterben und Auferstehn.
Gestorben der Mythos und auferstanden in der Anbetung im
Geist, gestorben der Heros und auferstanden im Wort vom
Kreuz, gestorben der Kosmos und auferstanden im ein und all
gemeinen All des Reichs. Daß diese drei jedes in sich eine
Verflüchtigung der Wahrheit bedeuten, genauer: daß Gott Herr
der Geister ist, nicht Geist, Spender der Leiden und nicht
Gekreuzigter, Einer und nicht Alles in Allem, — wer möchte
solche Einwände einem Glauben entgegenwerfen, der siegreich
durch die Welt seinen Weg nimmt und dem die Götter der
Völker — völkischer Mythos, völkischer Heros, völkischer
Kosmos — nicht stand halten. Wer möchte es!
U nd dennoch: der Jude tuts. Nicht mit Worten — was
wären hier in diesem Bezirk des Schauens noch Worte!
Aber mit seinem Dasein, seinem schweigenden Dasein. Dies
Dasein des Juden zwingt dem Christentum in alle Zeit den Ge
danken auf, daß es nicht bis ans Ziel, nicht zur Wahrheit
kommt, sondern stets — auf dem Weg bleibt. Das ist der
tiefste Grund des christlichen Judenhasses, der das Erbe des
heidnischen angetreten hat. Er ist letzthin nur Selbsthaß, ge
richtet auf den widerwärtigen stummen Mahner, der doch nur
durch sein Dasein mahnt, — Haß gegen die eigne Unvollkom
menheit, gegen das eigene Nochnicht. Der Jude durch seine
innere Einheit, dadurch daß in der engsten Enge seiner Jüdisch-
keit doch noch der Stern der Erlösung brennt, beschämt, ohne
daß ers will, den Christen, den es hinaus und vorwärts treibt