DER STERN ODER DIE EWIGE WAHRHEIT 509
unterscheidbar. Gott selbst »lernt« nach der rabbinischen
Legende im Gesetz. Im Gesetz ist eben alles Diesseitige, was
darin ergriffen wird, alles geschaffene Dasein, schon unmittel
bar zum Inhalt der künftigen Welt belebt und beseelt. Daß das
Gesetz nur jüdisches Gesetz, daß diese fertige und erlöste Welt
nur eine jüdische Welt ist und daß der Gott, der im Weltregi-
mente sitzt, noch mehr zu tun hat als bloß im Gesetz zu
lernen, das vergißt dies jüdische Gefühl, ganz einerlei ob es
dabei das Gesetz im überlieferten Sinn" meint oder sich den
alten Begriff mit neuem Leben gefüllt hat. Denn auch in diesem
Fall nimmt es nur diese Welt für unfertig, das Gesetz aber,
das es sich ihr aufzulegen anschickt, auf daß sie aus dieser in
die künftige übergehe, für fertig und unveränderlich. Das
Gesetz steht dann, auch wenn es etwa höchst modern im Kleide
irgend einer zeitgemäßen Utopie kommt, in einem tiefen
Gegensatz zu jener christlichen Gesetzlosigkeit des Sichüber-
raschenlassenkönnens und -wollens, die noch den Politiker
gewordenen Christen von dem Utopist gewordenen Juden
unterscheidet und die diesem die größere Kraft des Aufrüt
telns, jenem die größere Bereitschaft zum Erreichen verleiht.
Immer meint der Jude, daß es nur gelte, seine Gesetzeslehre
um und um zu wenden; so werde sich schon finden, daß »alles
darin« sei. Dem Heidentum, das die Wege der Christenheit
umgriffen, kehrt das Gesetz den Rücken; es weiß nichts davon
und will nichts davon wissen. Der Gedanke des Übergangs
aus dieser in die künftige Welt, der messianischen Zeit, der
über das Leben gehängt ist als ein ewig zu gewärtigendes
Heute, — hier verfestigt er sich und veralltäglicht sich zum
Gesetz, in dessen Befolgung, je vollkommener sie ist, der
Ernst jenes Übergangs zurücktritt. Denn grade das Wie des
Übergangs steht schon fest. Wie Gottes nach der Legende,
so mag sich nun auch das Leben des Frommen erschöpfen in
immer vollkommnerem »Lernen« des Gesetzes. Sein Gefühl
nimmt die ganze Welt, die zum Dasein geschaffne wie die zu
beseelende, die der Erlösung zuwächst, zusammen in eins und
füllt sie in den häuslich trauten Raum zwischen dem Gesetz
und seinem, des Gesetzes, Volk.