498
DRITTER TEIL: DRITTES BUCH
Das Christ=Sein ist ihnen, vordem sie geboren wurden, abge-
nominen durch die Geburt Christi so wie umgekehrt der Jude
sein Judesein in sich selbst von seiner eignen Geburt her be
sitzt und mit sich trägt, indes ihm das Judewerden abgenom
men wurde in der Vorzeit und Offenbarungsgeschichte des
Volks.
Solch gegensätzliches Verhältnis von Hier und Jetzt, Ge
burt und Wiedergeburt bestimmt nun aber jedesmal auch
den ganzen weiteren Gegensatz, der zwischen jüdischem
und christlichem Leben waltet. Das christliche Leben fängt
mit der Wiedergeburt an. Die Geburt liegt zunächst außer
ihm. So muß es versuchen, seiner Wiedergeburt die Geburt
zu unterbauen. Es muß die Geburt aus dem Stall von Bethle
hem in sein eignes Herz verlegen. Wär’ Christus tausendmal
in Bethlehem geboren und wirds nicht auch in dir, so bist du
doch verloren. Dies ganze Hier, das noch außerhalb ist, diese
ganze Welt von Natürlichkeit, gilt es in die mit dem großen
Jetzt der Wiedergeburt angehobene Reihe der Christwerdun-
gen einzuziehen. Das christliche Leben führt den Christen ins
Außen. Die Strahlen strahlen immerfort, bis alles Außen durch
strahlt sein wird. Genau umgekehrt das jüdische Leben. Da
ist die Geburt, das ganze natürliche Hier, die natürliche In
dividualität, die unteilbare Weltteilhaftigkeit schon da, und es
gilt dieses breit und voll Daseiende hineinzuführen in den
engen Zeitpunkt der Wiedergeburt, ein Führen, das ein Zu
rückführen wird, denn die Wiedergeburt liegt unvordenklich
lange vor der eigenen und einzelnen Geburt. Für das Ver
legen der einstigen gemeinsamen Geburt ins eigene wieder
geborene Herz tritt hier ein Nacherleben der einstigen gemein
samen Wiedergeburt ein, für das Vergegenwärtigen des Ver
gangenen also ein Zurückführen der Gegenwart ins Ver
gangene. Ein Jeglicher soll wissen, daß ihn selbst der Ewige
aus Egypten geführt hat. Das gegenwärtige Hier geht hinein
in das große Jetzt des erinnerten Erlebnisses. So wird, wie der
christliche Weg Äußerung und Entäußerung und Durchstrah
len des Äußersten, so das jüdische Leben Erinnerung und Ver
innerlichung und Dnrchglühen des Innersten.