Full text: Der Stern der Erlösung

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DRITTER TEIL: DRITTES BUCH 
als die gleiche Erfahrung, die wir schon in der Welt als seine 
Geschöpfe und Kinder alle Tage machen konnten, so dürfen 
wir uns mit dieser letzten Erkenntnis seines Wesens noch ein 
mal zurückwagen in jene erste Nichterkenntnis, in die Erkennt 
nis seines Nichts, von der wir unsern Ausgang nahmen. Das 
Heidentum hatte in diesem Nichts unmittelbar ein All. das All 
seiner Götter gefunden, die Burg, in der sie ihr Leben vor den 
Blicken der Welt bargen. Es hatte sich an diesen Göttern zu 
frieden gegeben und nach nichts weiter verlangt. Die Offen 
barung aber lehrte uns in jenen Göttern den verborgenen Gott 
erkennen, den verborgenen, der nichts ist als der noch nicht 
offenbare. Das Heidentum hatte in jenem Nichts wirklich ein 
All gefunden. Wir. indem wir es als Nichts erkannten, durften 
nur hoffen, in ihm das All zu finden. Die heidnische Welt 
wurde uns zur Vorwelt, das Leben der heidnischen Götter zum 
verborgenen Vorleben Gottes. Das Nichts unseres Wissens 
von ihm wurde uns so zu einem inhaltsreichen Nichts, zur ge 
heimnisvollen Voraussage dessen, was wir im Offenbaren 
erfahren haben. Jenes Dunkel des Nichts verliert seine selb 
ständige Macht, die es zuvor haben mochte. Daß Gott das 
Nichts sei. wird ebensosehr zu einem uneigentlichen Satz wie 
der andre, daß er die Wahrheit sei. Wie die Wahrheit sich 
enthüllte als die bloße Vollendung dessen, was wir in der 
Liebe Gottes mit schmeck- und sichtbarer Gegenwärtigkeit 
erfahren, seiner Offenbarung, so darf auch das Nichts nichts 
andres sein wollen als die Vordeutung auf diese Offenbarung. 
Auch daß Gott »Nichts« ist, genau wie daß er »Wahrheit« ist, 
hält der Frage nach dem Wesen, der Frage »Was ist?«, nicht 
stand. 
Was ist Nichts? Schon in dieser Frage selber verbietet sich 
die einzige Antwort, die das Nichts Nichts bleiben ließe, die 
Antwort: Nichts. Denn Nichts kann nie das Wesen bezeichnen, 
nie Prädikat sein. Nichts ist ja kein Begriff. Es hat weder 
Umfang noch Inhalt. Der Satz, mit dem Schopenhauers Haupt 
werk schließt, »die Welt ist — Nichts«, ist schon rein begriff 
lich eine Absurdität. Mindestens erklärt er die Welt nicht. Er
	        
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