DIE STRAHLEN ODER DER EWIGE WEG
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So erfährt die Seele auf dem Wege ihre Ewigkeit, unbe
kümmert darum, daß die Welt noch nicht am Ziel ist. Mag
denn die Spirale der Welt den Kreislauf immer wieder öffnen
und weitertreiben, der Seele hat sich der Kreis der Ewigkeit
schon geschlossen. Auch der Welt der Völker ist Ewigkeit
verheißen. Aber um sie schlingt sich ein größerer Kreis. Die
Völker können, indem sie immer wieder aus Seelen wieder
geboren werden, die Erfrischung des Blutkreislaufs, die vom
Kreuz ausgeht, bis in ihre Adern hinein spüren, aber in den
Adern selber kreist das Blut nicht, sondern es fließt in unrück
läufigem Gefälle abwärts durch die Landschaft der Zeit in den
Ozean der Geschichte. Die Erlösung sprengt immer wieder den
Ring des Kirchenjahrs. Es muß einen Kreis geben, an dem die
Völker im Ganzen ihren eigenen Willen zur eigenen Erhaltung
und Erneuerung als ein ewiges Schicksal wiedererkennen;
anders mögen sie nicht lernen, daß in ihrem eigenen Schicksal
ein ewiger Wille wirkt. Dieser große Kreis der Erlösung
schließt sich im Jahr des ewigen Volks. An ihm, dem den Völ
kern allzeit unerkannten Träger jener Weissagung, die sie
schon im stellvertretenden Leiden des Einzelnen für die Ein
zelnen erfüllt glauben mußten, erleben sie die geschlossene
Ewigkeit, nach der sie selber sich ohnmächtig strecken. Denn
ihre Bäche rinnen alle ins Meer, und der ewige Kreislauf der
Wasser unter dem Himmel vollzieht sich nicht im Bette der
Elüsse allein. Nur ein einziges Gewässer auf Erden steht ewig
kreisend in sich selbst, ohne Zufluß scheinbar und ohne Ab
fluß, nämlich ohne irdischen Zufluß und Abfluß, — ein Wunder
und ein Anstoß allen, die es sehen; denn es entzieht sich der
Aufgabe aller Wässer, ins Meer zu laufen. Die Bäche ahnen
nicht, daß ihnen in seinem ewigen Kreisen ein Bild ihrer all
gemeinen Zukunft gestellt ist. Aber sie eilen um so geschwin
der den eignen Weg, der sie dieser Zukunft entgegenträgt.
Denn was sie auf diesem ihrem ewigen Weg vorwärtstreibt,
was ist es anders als der Drang nach ewigem Leben? Weiß
der Baum, daß er nichts will als Frucht bringen, die seines
längst vergangenen Samens Ebenbildnis birgt?