DIE STRAHLEN ODER DER EWIGE WEG 469
Kreis des Kirchenjahrs Platz findet: er öffnet den Kreis zur
Spirale, er sprengt das verschlossene Tor, und die Prozession
zieht heraus in die Stadt. Es ist wohl begründet, daß das
Fronleichnamsfest das Prozessionsfest schlechtweg ist. Bei
uns dürfen die Tore des Gotteshauses geschlossen bleiben;
denn wenn Israel kniet, ist in dem zuvor kleinen Raum plötz
lich Platz für die ganze Menschheit. Bloß im Innern des Gottes
hauses finden die Umzüge der Thora statt, insbesondere jener
große beim Schluß der Erlösungsfeste am Tage der Gesetzes
freude. Aber hier, wo die Erlösung unmittelbar im geschlos
senen Kreise der Gemeinde wie des Jahrs gefeiert wird,
konnte sich auch der Tanz als gottesdienstliche Handlung aus
bilden: im Tanz des Chassid, der Gott »mit allen seinen Ge
beinen lobt«.
So ist nur bei uns im Gottesdienst selber der Tanz, in
dessen raumsprengender Gebärde doch erst die raumschaf
fende Macht der Baukunst und die raumfüllende der Musik
sich vollendet. Die Kirche, die hier um der Erlösung willen
ihren Kult hinaus in die Welt tragen und ihn in weltlichen
Festen ergänzen muß, ist hier in allerdeutlichster Weise nur
erst auf dem Weg. Der Raum der Kirche strahlt hinaus ins
Draußen, das sie umlagert, ihre Zeiten gliedern den Zeitstrom,
der an ihr vorbeifließt, aber ihre Welt muß sie selber sich erst
an der Welt draußen gewinnen; sie trägt sie nicht einfach
hinaus, wie sie die Gesetze ihres Raums und ihrer Zeit hinaus
trägt, sondern indem sie hinaus zu allen Völkern geht, emp
fängt sie ihr eignes Gesetz erst draußen, erst aus der Arbeit
unter dem Gesetz der Welt. Sie hat das Ende nicht in ihren
Mauern, sie steht immer erst am Anfang, sie schreitet den
Weg.
Darum kann auch die sakramentale Form, mit der sie die
Vorbereitung ergänzt, die ihr die Abkömmlinge des Tanzes,
alle jene Selbstdarstellungen der Völker, leisten, nur eine
Weihe des Anfangs sein. Der Kniefall, der die endliche Erlö
sung meint und ist, bleibt ihr fremd. Aber zum Eintritt in die
Welt als den Weg der Erlösung mag sie den Einzelnen weihen.