DRITTER TEIL: ZWEITES BUCH
tung bewegt. Die Welt als Ganzes und ihr kleiner Gott, der
Mikrokosmos Mensch, ist ihr Inhalt. Und so müßte von der
Dichtung her dem Menschen die Stimmung kommen, in der er
den Weg zum letzten erlösenden Schweigen fände, das sich
ihm in den weltlichen Festen der Erlösung wenigstens als Aus
sicht und Verheißung zejgen müßte.
Aber noch weiter scheint von der Dichtung her dieser Weg
in das Leben der Gemeinschaft, als er schon von der bildenden
Kunst und von der Musik her war. Diese wurden wenigstens
in öffentlichen Sälen, in eignen Häusern aufbewahrt und vor
geführt. Das Heim der Poesie aber, in dem sie ihre Gefangen
schaft absitzt, ist der Bücherschrank. Der Raum zwischen den
zwei Deckeln eines Buchs — das ist die einzige Stätte, wo die
Poesie wahrhaft »reine« Kunst ist; dort ist sie in ihrer reinen
Gedankenwelt, jedes Werk in seiner eignen. Wie das Bild in
seinem Rahmen sich seinen »reinen« Raum schafft, wie das
Musikwerk sich seine reine Zeit, so schafft sich jede Dichtung
ihre eigene »ideale« Welt. Schon indem sie laut vorgelesen
wird, verläßt sie diese reine Welt ihrer Vorstellung und macht
sich irgendwie gemein. Gar wenn sie als dramatische Dich
tung etwa aufs Theater kommt, ist es um ihre ästhetische
»Idealität« geschehen; das rechte Drama ist das Buchdrama;
daß es theatralisch sei, gilt im Munde des Ästheten für ein
Verbrechen, das man unfolgerechterweise Shakespeare ver
zeiht, Schiller aber und Wagner schwer anrechnet, obwohl
sicher einmal eine Zeit kommen wird, wie sie für Schiller schon
gekommen ist, wo man aufhören wird, Wagner vorzuwerfen,
daß er fürs Theater theatralisch geschrieben hat. Doch bleibt
auch das Theater, selbst das theatralische, noch immer reine
Kunst, obwohl sie sich schon nicht ganz dem Einfluß der ver
sammelten Menge entziehen kann; und die Zwitterwirkung des
Theaters kommt eben aus dem Kampf, in den die ideale Welt
des Werks dort mit der wirklichen eines versammelten Pub
likums notwendig geraten muß. Offenbar müßte auch die
Dichtung aus den Buchdeckeln ihrer idealen Welt erlöst und
in die wirkliche eingeführt werden, ehe sie zur Führerin einer