DIE STRAHLEN ODER DER EWIGE WEG
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Zu dieser Gemeinsamkeit des Lebens, wie sie dann im
Sakrament sich verwirklicht, stimmt nun die Musik die Seelen
vor. Die beim Eintritt in den gemeinsamen Raum nur zur
Gemeinschaft überhaupt, zur Möglichkeit von Gemeinschaft
vorgestimmten Seelen werden im gemeinsamen Singen des
Chorals vorgestimmt zur wirklichen Gemeinschaft. Auch die
musikalische Messe ist ja, obwohl bloß mitgehört nicht mit
gesungen, doch im Grunde ebenso sehr wie der Choral eine
Vorstimmung aller Einzelnen zur Gemeinschaft; denn Musik
Hören ist ein ganz anderes Hören als das Hören eines vor
gelesenen Texts oder einer Predigt: es gründet keine Gemein
schaft, sondern es erregt die Versammelten, einen jeden für
sich, zu den gleichen Gefühlen, — einen jeden für sich, wie der
Anblick eines Konzertpublikums unmittelbar zeigt. So ist das
Anhören der musikalischen Messe in dieser Beziehung völlig
gleichwertig dem Gesang des Chorals. Der Einzelne wird,
nachdem ihn leiblich der gemeinsame Raum aufgenommen hat,
nun in seiner Seele als redender Einzelner ergriffen, und indem
die Rede in die Zucht von Rhythmus und Melodie genommen
wird, lernt die Eigenheit des eignen Worts des Einzelnen das
Verstummen. Er spricht, aber was er spricht, sind nicht seine
Worte, sondern die allen gemeinsamen Worte zur Musik.
Die Worte und Gefühle, kurz das Innere des Menschen
steigt so in den Stand der Notwendigkeit, in den die Dinge mit
ihrem Einzug in den Raum der Kirche eintraten. Das Wort,
das zum Text des Gesangs geworden ist, hört auf, ein belie
biges zu sein. Mit Sangweisen erhalten sich Worte. Alle
Überlieferung von Worten geschieht in alten Zeiten in festem
Gesangston, sowie noch heute dort, wo das Wort noch als
gesprochen Wort überliefert wird. Und alle Überlieferung ist
ursprünglich kultisch. Der Kult gibt selbst dem bloß gedachten
Wort Notwendigkeit: das Brevierlesen des katholischen Geist
lichen, das stumme Gebet bei uns sind etwas ganz andres wie
Lesen oder Nachsinnen sonst. Der Gedanke hat da ein Feier
kleid angezogen, in dem er sich weniger bequem und frei be
wegen mag als sonst, aber die Worte, die der Mensch so