DRITTER TEIL: ZWEITES BUCH
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auch alle Werke der »reinen« Künste teil an der Wirklichkeit
des architektonischen Raums, der nunmehr all jene »idealen«
Räume in seine große eine Raumwirklichkeit eingliedert und
mit seinem kräftigen Pulsschlag die krankhafte Blässe jener
Scheinräume rötet. Und in diesen Raum und seine Notwendig
keit wird nun alles Körperliche hineingezogen, was in ihm sich
aufhält. Hier allein gewinnen die Dinge als Dinge Notwendig
keit. Allermindestens die Notwendigkeit, welche die Dinge
etwa auch sonst umgibt, hat ihren Ursprung zumeist hier. Nur
kultische Gegenstände sträuben sich, einmal geformt, gegen
jede Abänderung ihrer Form; es sind eben keine Dinge mehr
wie andre Dinge; es sind, so gewagt der Ausdruck klingen
mag, lebendige Dinge geworden. Die Thora und die Esther
rolle sind die einzigen bis in die Gegenwart genau in der an
tiken Form erhaltenen antiken Bücher, aber durch diese streng
erhaltene Form ist eine Thorarolle nun auch kein gewöhnliches
Ding mehr; es knüpfen sich, man möchte sagen, persönlichere
und mindestens gleich lebendige Gefühle an so eine Pergament
rolle wie an das. was darauf steht. So gibt es auch kein
Gewand, das sich so streng erhielte wie das kultische. Wieder
sei hier an die Erhaltung des antiken Kleides im jüdischen
Gottesdienst erinnert. Bei den Priestergewändern der römi
schen und östlichen Kircne liegt es ähnlich. Ja die Kleidung
überhaupt muß hier ihren Ursprung haben. Den Panzer legt
man ab. wenn man ihn nicht mehr braucht, und so ist jedes
Gewandstück zunächst ebenfalls nur ein Gebrauchsgegenstand
und also nicht das was heute das Kleid ist. Denn heute machen
wirklich Kleider Leute; das Kleid gehört zum Menschen, er ist
nicht komplett, wenn er nicht der Gelegenheit entsprechend
angezogen ist. Das Kleid reiht ihn ein in die menschliche Ge
meinschaft. Diese Beseelung aber des Kleides, dieses sein
Notwendigwerden geschieht zuerst, und wieder unter dem
raumschaffenden und alles raumeingliedernden Zwang des
Gotteshauses, dem Priester. Die priesterliche Tätigkeit ist die
erste, die der Mensch nur in bestimmter Kleidung ausüben
kann. So fluten in einem wirklichen Raum Wellen von Wirk-