DRITTER TEIL: ZWEITES BUCH
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die göttliche Wahrheit. Hier gewinnt er die reine Ferne und
Sachlichkeit des Erkennens und Handelns, die in scheinbarem
Widerspruch zur Innigkeit der Liebe den andern Weg des
Christentums durch die Welt bezeichnet. Unter dem Zeichen
Gottvaters ordnet sich das Leben dem Wissen wie der Tat in
feste Ordnungen. Auch auf diesem Wege spürt der Christ den
Blick Gottes auf sich gerichtet, eben des Vaters, nicht des
Sohns. Es ist unchristlich, diese beiden Wege zu Gott mitein
ander zu vermengen. Es ist Sache des »Takts«, sie ausein
ander zu halten und zu wissen, wann es gilt, den einen zu
gehen, wann den andern. Jene blitzschnell unerwarteten Um
schläge aus dem Bewußtsein der göttlichen Liebe in das der
göttlichen Gerechtigkeit und umgekehrt; wie sie für das jü
dische Leben wesentlich sind — der Christ kennt sie nicht;
sein Gang zu Gott bleibt doppelt, und zerreißt ihn der Zwang
dieses doppelten Wegs, so ist es ihm eher gestattet, sich klar
für den einen zu entscheiden und ihm sich ganz zu widmen,
als im Zwielicht zwischen beiden hin und her zu flackern. Für
den Ausgleich wird dann schon die Welt, werden die Mit
christen sorgen. Denn was hier in Gott sich als die Trennung
der göttlichen Personen anzeigt, dem entspricht in der christ
lichen Welt eine Doppeltheit ihrer Ordnung, im christlichen
Menschen eine Zweiheit von Lebensformen.
Der Mensch, als jüdischer Mensch in allem untilgbaren
Widerstreit seiner Gottgeliebtheit und Gottesliebe, seiner Jii-
dischkeit und seiner Menschlichkeit, Erzvater und Messias, in
allen diesen Widersprüchen doch einer und grade in ihnen ein
lebendiger, — dieser Mensch tritt in der Christenheit ausein
ander in zwei Gestalten. Nicht etwa zwei Gestalten, die sich
notwendig ausschließen und bekämpfen. Aber zwei Gestalten,
die getrennte Wege gehn, getrennt selbst dann noch, wenn sie
sich, was immer Vorkommen mag, in einem Menschen zu
sammenfinden. Und wiederum führen diese getrennten Wege
durch das ganze weite Land der Menschlichkeit, in dessen Be
zirken sich Form und Freiheit allezeit zu widerstreiten schei
nen. Eben dieser Gegensatz ist es, der sich in den beiden Ge