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DRITTER TEIL: ERSTES BUCH
werden kann, so siegt die Bewegung. In des gleichen Flusses
Welle steigst du nicht zum zweiten Mal. In hemmungslosem
Wechsel und Wandel scheint die Geschichte zu verrauschen.
Da kommt der Staat und hängt über den Wandel sein Gesetz.
Nun ist mit einem Male etwas da, was beharrt. Ja auf den
ersten Blick scheint es, als ob nun alles festgesetzt ist, alles
beharrt. Aber bald strömt über die feste gesetzte Tafel das
rauschende Leben schon wieder fort. Das Gesetz erhält sich
nur, solange das Volk es hält. Und Recht und Leben, Dauerndes
und Wechselndes, scheinen auseinanderzugehen. Da enthüllt
der Staat sein wahres Gesicht. Das Recht war nur sein erstes
Wort. Es kann sich nicht gegen den Wechsel des Lebens be
haupten. Nun aber spricht er sein zweites Wort: das Wort
der Gewalt.
Die Gewalt läßt das Leben zu seinem Recht gegen das
Recht kommen. Indem der Staat selber gewaltsam ist und
nicht bloß rechtlich, bleibt er dem Leben auf den Fersen. Es
ist der Sinn aller Gewalt, daß sie neues Recht gründe. Sie ist.
keine Leugnung des Rechts, wie man wohl, gebannt durch ihr
umstiirzlerisches Gehabe, meint, sondern im Gegenteil seine
Begründung. Aber es steckt ein Widerspruch in dem Ge
danken eines neuen Rechts. Recht ist seinem Wesen nach
altes Recht. Und nun zeigt sichs, was die Gewalt ist: die
Erneuerin des alten Rechts. Das Recht wird in der gewalt
samen Tat ständig zum neuen Recht. Und der Staat ist also
gleichsehr rechtlich und gewaltsam, Hort des alten und Quelle
des neuen Rechts; und in dieser Doppelgestalt als Rechtshort
und Rechtsquelle setzt sich der Staat über den bloßen Abfluß
des Volkslebens, in welchem sich unaufhörlich und ungewalt
sam Sitte mehrt und Gesetz ändert. Diesem natürlichen Ver
streichenlassen des lebendigen Augenblicks, wie es sich in der
Mehrung der Sitte und im Wandel des Rechts beim lebendigen
Volk zeigt, setzt der Staat sein gewaltiges Behaupten des
Augenblicks entgegen. Aber nicht wie beim ewigen Volk so,
daß er den Augenblick verewigte zu ein für allemal abgeschlos
sener Sitte und unwandelbarem Gesetz. Sondern indem er den