Full text: Der Stern der Erlösung

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DAS FEUER ODER DAS EWIGE LEBEN 
Gott scheidet sich in sich selber in den Schöpfer und den 
Offenbarer, den Gott der allmächtigen Gerechtigkeit und den 
der erbarmenden Liebe. ^ Der Mensch scheidet sich in die gott 
geliebte Seele und den Liebenden der Liebe des Nächsten. Die 
Welt scheidet sich in das Dasein der nach Gottes Schöpfung 
verlangenden Kreatur und das eigne Wachstum des Lebens 
hinein ins Reich. Alle diese Scheidungen waren uns bisher 
nicht als Scheidungen erschienen, sondern als einander fol 
gende Einsätze der Stimmen der großen Fuge des Gottestags. 
Nicht die Scheidung, sondern vielmehr die Vereinigung, ihr 
Zusammenklingen in die eine Harmonie, war uns bisher das 
Wesentliche. Jetzt zum ersten Mal, wo wir uns anschicken, 
die Ewigkeit nicht als den zwölften Glockenschlag der Welt 
uhr, sondern als das stündlich Gegenwärtige zu schauen, 
werden uns jene Einsätze zu Gegensätzen. Denn in der reinen, 
stündlich wiederkehrenden Gegenwart haben sie nicht mehr 
die Möglichkeit, sich in kontrapunktierter Bewegung an 
einander vorbei und ineinander zu schieben, sondern liegen 
hart auf hart einander gegenüber. 
Gott der Herr gilt seinem Volk zugleich als der Gott der 
Vergeltung und der Gott der Liebe, er wird in einem Atemzug 
angerufen als »unser Gott« und als »König der Welt« oder 
— im noch engeren Kreis der gleiche Gegensatz — als »unser 
Vater« und »unser König«. Er will, daß man ihm diene »mit 
Zittern«, und freut sich, wenn seine Kinder die Angst vor 
seinen Wunderzeichen überwanden. Wo die Schrift von seiner 
»Erhabenheit« redet, da redet sie alsbald im nächstfolgenden 
Verse schon von seiner »Demut«. Er verlangt die sichtbaren 
Zeichen der seinem Namen dargebrachten Opfer und Gebete 
und der vor ihm geschehenden Kasteiung; und im gleichen 
Atemzug fast verschmäht er beides und will nur geehrt werden 
durch die namenlosen Werke der Nächstenliebe und Gerech 
tigkeit, denen niemand ansieht, daß sie um seinetwillen ge 
schehen, und durch das heimliche Glühen des Herzens. Er hat 
sein Volk erwählt, aber um an ihm zu strafen alle seine 
Sünden. Er will, daß jegliches Knie sich ihm beuge, und thront
	        
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