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DRITTER TEIL: ERSTES BUCH
W as bedeutet das aber — Verwurzelung im eigenen
Selbst ? Was bedeutet es, daß hier ein Einzelnes, ein
Volk, Gewähr seines Bestehens in nichts Äußerem sucht
und grade darin, grade in seiner Beziehungslosigkeit, Ewiges
sein will? Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger als
den Anspruch, als Einzelnes dennoch Alles zu sein. Denn
das Einzelne an sich ist deswegen nicht ewig, weil es das
Ganze außer sich hat und sich in seiner Einzelheit nur be
haupten kann, indem es sich dem Ganzen irgendwie als Teil
einfügt. Ein Einzelnes also, das gleichwohl ewig sein wollte,
müßte das All ganz in sich haben. Und so hieße das, daß das
jüdische Volk in seinem eigenen Innern die Elemente Gott
Welt Mensch, aus denen ja das All besteht, versammelt. Der
Gott, der Mensch, die Welt eines Volkes sind eines Volkes
Gott, Mensch, Welt nur dadurch, daß sie sich von andern
Göttern, Menschen, Welten genau so unter- und abscheiden
wie das Volk selbst. Eben in diesem Sichabscheiden des ein
zelnen Volks von andern einzelnen Völkern hängt es mit ihnen
zusammen. Alle Grenze hat zwei Seiten. Indem etwas sich
abgrenzt, grenzt es sich an etwas andres an. Indem ein Volk
einzelnes Volk ist, ist es Volk unter Völkern. Sein Sichab-
schließen bedeutet dann ebensosehr Sichanschließen. Nicht so,
wenn das Volk es verweigert, einzelnes Volk zu sein, und »das
eine Volk« sein will. Dann darf es sich nicht in Grenzen ein
schließen, sondern es muß die Grenzen, die es ja durch ihre
Zweiseitigkeit zum einzelnen Volk unter den andern Völkern
machen würden, in sich einschließen. Und genau so seinen
Gott, seinen Menschen, seine Welt. Auch die darf es nicht
gegen andre unterscheiden, sondern es muß ihren Unterschied
in seine eigenen Grenzen mithineinziehen. Gott, Mensch, Welt
müssen den Unterschied, durch den sie zu Gott, Mensch, Welt
des einen Volkes werden, da dieses eine Volk ein einziges Volk
sein soll, in sich selber haben. Sie müssen in sich selber pol
hafte Gegensätzlichkeit bergen, um einzeln, bestimmt, etwas
Besonderes, ein Gott, ein Mensch, eine Welt, und doch zugleich
Alles, Gott, der Mensch, alle Welt, sein zu können.