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DRITTER TEIL: ERSTES BUCH
beruht darauf, daß der Mensch alles sagen, kann, was er meint,
und daß er weiß, daß er es kann; wo er dies verliert, wo er
etwa meint, in seiner Qual verstummen zu müssen, weil nur
dem »Dichter« gegeben sei, zu sagen was er leidet, da ist nicht
bloß die Sprachkraft eines Volks gebrochen, sondern auch
seine Unbefangenheit hoffnungslos verstört.
Eben diese letzte und selbstverständlichste Unbefangenheit
des Lebens ist nun dem Juden versagt, weil er mit Gott eine an
dere Sprache spricht als mit seinem Bruder. Mit seinem Bru
der kann er deshalb überhaupt nicht sprechen, mit ihm ver
ständigt ihn der Blick besser als das Wort, und es gibt nichts
im tieferen Sinn Jüdisches als ein letztes Mißtrauen gegen die
Macht des Worts und ein inniges Zutrauen zur Macht des
Schweigens. Die Heiligkeit der heiligen Sprache, in der er nur
beten kann, läßt sein Leben nicht im Boden einer eignen
Sprache Wurzel schlagen; ein Zeugnis dafür, daß sich sein
Sprachleben stets in der Fremde fühlt und seine eigentliche
Sprachheimat anderswo, in dem der täglichen Rede unzugäng
lichen Bezirk der heiligen Srache weiß, ist der merkwürdige
Umstand, daß die Sprache des Alltags wenigstens in den
stummen Zeichen der Schrift die Verbindung mit der dem All
tag übrigens längst verlorenen altheiligen Sprache aufrecht-
zuerhalten sucht; ganz anders als bei den Völkern der Welt,
wo eher die Sprache eine verlorene Schrift als umgekehrt die
Schrift eine dem Alltag entschwundene Sprache überlebt:
grade im Schweigen und den schweigenden Zeichen der Rede
fühlt der Jude auch seinen Sprachalltag noch heimisch in der
heiligen Sprache seiner Feierstunden.
So drängt auch die Sprache, sonst den Völkern Trägerin
und Ründerin des zeitlichen, wandelnden und wechselnden und
darum freilich auch vergänglichen Lebens, das ewige Volk
grade zurück auf sein eigenstes, jenseits des äußeren Lebens,
nämlich nur in den Adern seines leiblichen Lebens selber krei
sendes und darum unvergängliches Leben. Ist ihm so der
eigene Boden und die eigene Sprache versperrt, wie viel mehr
noch wird ihm da auch das sichtbare Leben versagt sein, das