DAS FEUER ODER DAS EWIGE LEBEN
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ja sein Leben selbst, zu heißen. Die Völker haben also wohl
recht, um ihre eigne Sprache zu kämpfen; aber sie müßten
wissen, daß sie damit nicht um ihre Ewigkeit kämpfen, son
dern daß, was sie in solchem Kampf gewinnen, immer nur
etwas andres als Ewigkeit ist: Zeit.
Und so kommt es, daß das ewige Volk seine eigne Sprache
verloren hat und überall die Sprache seiner äußern Schicksale
spricht, die Sprache des Volks, bei dem es etwa zu Gaste
wohnt; und wenn es nicht das Gastrecht beansprucht, sondern
in geschlossener Siedlung für sich selber lebt, so spricht es die
Sprache des Volks, aus dem auswandernd es die Kraft zu sol
chem Siedeln empfing, die es in der Fremde nie als es selber
hat, nie bloß auf Grund des eigenen blutmäßigen Zusammen
hangs, sondern stets nur als die von irgendwoher Zugewan
derten; das »Spaniolisch« in den Balkanländern, das »Tatsch«
im europäischen Osten sind nur die heute bekanntesten Fälle.
Während also jedes andre Volk mit der ihm eigenen Sprache
eins ist und ihm die Sprache im Munde verdorrt, wenn es auf
hört Volk zu sein, wächst das jüdische Volk mit den Sprachen,
die es spricht, nie mehr ganz zusammen; selbst wo es die
Sprache des Gastvolks spricht, verrät ein eigener Wortschatz
oder mindestens eine eigne Auswahl aus dem Wortschatz der
Allgemeinheit, eigene Wortstellung, eigenes Gefühl für sprach-
schön und -häßlich, daß die Sprache — nicht die eigene ist.
Die eigene Sprache aber ist seit unvordenklicher Zeit nicht
mehr die Sprache des täglichen Lebens, und dennoch, wie
schon ihr ständiges Hineinregieren in die Sprache des täglichen
Lebens zeigt, alles andre als eine tote Sprache. Sie ist nicht
tote, sondern, wie das Volk selbst sie nennt, »heilige« Sprache.
Die Heiligkeit der eigenen Sprache wirkt ähnlich wie die Hei
ligkeit des eignen Landes: sie lenkt das Letzte des Gefühls ab
aus dem Alltag; sie hindert das ewige Volk, jemals ganz einig
mit der Zeit zu leben; ja sie hindert es überhaupt, eben durch
jene Einzäunung des letzten, höchsten Lebens, des Gebets, in
einen heiligen Sprachbezirk, jemals ganz frei und unbefangen
zu leben. Denn alle Freiheit und Unbefangenheit des Lebens