VOM REICH
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Stammeln der Qeberdensprache, dieser kümmerlichen Not
brücke der Verständigung. Daher kommt es, daß das Höchste
der Liturgie nicht das gemeinsame Wort ist, sondern die ge
meinsame Qeberde. Die Liturgie erlöst die Geberde von der
Fessel, unbeholfne Dienerin der Sprache zu sein, und macht
sie zu einem Mehr als Sprache. In der liturgischen Geberde
allein ist die »geläuterte Lippe« vorweggenommen, die den all
zeit sprachgeschiedenen Völkern für »jenen Tag« verheißen
ist. In ihr wird die karge Stummheit der ungläubigen Glieder
beredt, die überfließende Redseligkeit des gläubigen Herzens
stille. Unglaube und Glaube vereinen ihr Gebet.
Sie vereinen es im Schweigen der liturgischen Geberde —
vereinen sie es nie im weltlichen Wort? Gibt es kein leben
diges Werk — und sei es auch bloß ein einzelnes, bloß ein
Zeugnis der Zusammengehörigkeit —, worin die beiden Ge
bete, das des Mannes des* Lebens und das des Manns Gottes,
sich in eins fügen? Erinnern wir uns, was wir in der Einleitung
des vorigen Teils über Theologie und Philosophie sagten. Sie
erschienen uns wechselweise auf einander angewiesen. Das
war eine Wechselbedürftigkeit zweier Wissenschaften. Ist
es nicht mehr? Wer Wissenschaft treibt, ist ja mehr als das,
was er treibt. Der Philosoph muß mehr sein als die Philo
sophie. Wir hörten: er muß Mensch sein, Fleisch und Blut.
Aber es genügt nicht, daß er das bloß ist. Er muß als Fleisch
und Blut, das er ist, das Gebet der Geschöpfe beten, das Gebet
zum eigenen Schicksal, worin eben das Geschöpf sich unge-
wußt als Geschöpf bekennt. Die Weisheit, die in ihm, in seinem
Fleisch und Blut wohnt, — Gott hat sie ihm anerschaffen; als
reife Frucht hängt sie nun am Baum des Lebens. Und der
Theolog muß mehr sein als Theologie. Wir hörten: er muß
wahrhaftig sein, er muß Gott lieben. Und es genügt nicht, daß
er es für sich in seinem Kämmerlein tut. Er muß als einsamer
Liebender, der er ist, das Gebet der Kinder Gottes sprechen,
das Gebet der gottesfürchtigen Gemeinde, worin er sich be
wußt als Glied ihres unsterblichen Leibes bekennt. Die Weis
heit, die in ihm, in seinem ehrfürchtigen Herzen wohnt, —