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DRITTER TEIL: EINLEITUNG
ein den Nächsten wie sich selbst um des Übernächsten willen,
seinen Freund um die neuen Freunde vergewaltigender Tyrann
— Sünder und Schwärmer in einer Person — werden kann.
Das Täfelchen verwarnt fortan jeden Wanderer, der den
Kamrn erstiegen hat, den Goetheweg nach Goethe noch ein
zweites Mal gleich ihm allein in hoffnungsvollem Vertrauen zum
Schritt der eigenen Füße, ohne die Flügel des Glaubens und der
Liebe, ein reiner Sohn dieser Erde, schreiten zu wollen.
Vor solchem Ausgleiten in die zwiefache Verfälschung der
Zeit, die im Zuspät des Sünders und die im Zufrüh des
Schwärmers, kann das Goethesche Gebet, das Gebet des Un
gläubigen, sich nicht selber schützen. Es erfaßt zwar den
genauen Augenblick der richtigen Zeit, der angenehmen, der
Gnadenzeit. Und erst seit es gebetet wird, beginnt die Zeit
sich wirklich zu erfüllen. Erst seitdem kommt das Reich
Gottes wirklich in ihr. Es ist ja kein Zufall, daß nun zum ersten
Mal ernsthaft begonnen wurde, die Forderungen des Gottes
reichs zu Zeitforderungen zu machen. Erst seitdem wurden
alle jene großen Befreiungswerke unternommen, die, so wenig
sie an sich schon das Reich Gottes ausmachen, doch die not
wendigen Vorbedingungen seines Kommens sind. Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit wurden aus Herzwvorten des Glau
bens zu Schlag=worten der Zeit und mit Blut und Tränen, mit
Haß und eifervoller Leidenschaft in die träge Welt hinein
gekämpft in ungeendeten Kämpfen.
Solange die alte Petruskirche allein war, wuchs bloß der
Raum — »hin in alle Welt«. Nur am Wachstum des Raums
war der Zeigerstand der Zeit abzulesen. So wie Dante, als er
im Paradies in der Versammlung der Heiligen nur noch wenige
Sitze leer fand, daraus schließen zu dürfen glaubte, daß das
Ende der Welt nun nahe sei, und gar nicht daran dachte, daß
vielleicht das Einnehmen dieser wenigen Sitze länger dauern
könnte als das der vielen bisher, so war die Kirche gewöhnt,
das Wachstum des Reichs gewissermaßen an der Missions
landkarte abzulesen. Gegen solche Verbreitung der Zeit ins
Räumliche stellte die paulinische Epoche die Versenkung der