DRITTER TEIL: EINLEITUNG
ihres Daseins in der Lebendigkeit ihres Schicksals. Es gibt nun
erst christliche Völker, während es in der paulinischen Epoche
weltliche Obrigkeiten, in der petrinischen die dem einen heb
ligen Reich untergetanen Nationen gab. Staaten wie Stämme
bedurften einer Ergänzung ihres Lebens, die einen am Glauben
des Einzelnen und der Verwaltung des Worts, die andern am
Reich und der sichtbaren Kirche; so allein hatten sie tragfähiger
Boden für den Samen des Christentums sein können. Nun erst
haben die Völker in sich selbst ganze sich vollendende Leben
digkeit; seit jedes Volk weiß und glaubt, es habe »seinen Tag
in der Geschichte«; und bedürfen sie darüber hinaus noch einer
irdischen Vollendung, so gibt sie ihnen der gleichfalls rein welt
liche, ja allzuweltliche Begriff der Gesellschaft.
Und wie nun das Leben in sich selber, nein in seiner eigenen
Unvollendetheit, eben in seinem Wachstum bleibt, indem es
sich vollendet, so ist jetzt auch sein Opfer und was ihm dafür
gespendet wird, nicht mehr zweierlei. Der äußere Heide
opferte seinen Leib und empfing dafür die Liebe; der erinnerte
Heide opferte seinen Geist und empfing dafür den Glauben.
Der lebendige Heide aber, der große Heide opfert sein Leben
und empfängt dafür nichts anderes als dies: es opfern zu dürfen
und zu können. Sein Leben aber opfern dürfen und können,
das ist von Gott aus gesehen die Gabe des Vertrauens. Wer
vertraut und hofft, für den gibt es kein Opfer, das ihm ein
Opfer wäre; es ist ihm ganz natürlich zu opfern, er weiß es gar
nicht anders. Die Liebe war sehr weiblich, der Glaube sehr
männlich, erst die Hoffnung ist immer kindlich; erst in ihr be
ginnt sich das »Werdet wie die Kinder« in der Christenheit zu
erfüllen. Und so ist Goethe »immer kindlich«. Er traut seinem
Schicksal. Er hofft auf seine eigene Zukunft. Er kann sich
nicht vorstellen, daß es ihm »die Götter« nicht gewähren
würden, das Werk seiner Hände zu vollenden. Er hofft, wie
Augustin liebt, wie Luther glaubt. Und so tritt die ganze
Welt unter dies neue Zeichen. Die Hoffnung wird nun die
größeste. In die Hoffnung fügen sich die alten Kräfte, fügen
sich Glaube und Liebe ein. Vom Kindersinn der Hoffnung her