Full text: Der Stern der Erlösung

VOM REICH 
m. 
Welt ein, indem er in sich selber wächst. Der einzelne Lebens 
tag bekommt Sinn, indem er eingefügt wird in den ganzen 
Gang des eigenen Lebens. Das Heute vollendet sich zu einem 
Morgen und Übermorgen, das doch ebensogut schon heute 
sein kann; das Leben kann ja jeden Augenblick enden, aber als 
eigenes Schicksal vollendet es sich im Augenblick des von 
außen gesehen zufälligen Endes und ist vollbracht. Wäre 
dies Verhältnis des Teils zum Ganzen bloß innerhalb des 
Lebens zwischen der einzelnen Stunde und dem Lebenslauf, so 
wäre dies Leben noch nichts andres als das Selbst des heid 
nischen Menschen. Aber diese innere Verknüpfung ist die 
gleiche, die auch das menschliche Leben als Ganzes dem 
Ganzen des weltlichen Lebens verknüpft, es ist eben Schick 
sal. Lind indem es als Schicksal empfunden wird, indem das 
eigene Schicksal als etwas erkannt wird, das man nicht bloß 
erfährt, sondern zu dem man beten kann, ist schon das Neue 
da, was über die gegenseitige Verschuldetheit von Nurleib und 
Nurseele hinausliegt. Und damit hat eine neue, die volLendende 
Zeit des Christentums begonnen. 
Es ist diesmal nicht wie bei den beiden vorbereitenden 
Zeiten, wo der Heide dem Christentum in Person gegenüber 
steht, der leiblich äußerliche zuerst, nachher der geistig 
erinnerte Heide, sondern Bekehrer und Bekehrter sind hier ein 
und derselbe Mensch. Goethe ist wirklich in einem zugleich 
der große Heide und der große Christ. Er ist das eine, indem 
er das andre ist. Im Gebet zum eigenen Schicksal ist zugleich 
der Mensch ganz und gar in seinem Selbst eingewohnt und 
grade darum auch ganz in der Welt zuhause. Dies Gebet des 
Unglaubens, das doch zugleich ein ganz gläubiges, nämlich ge- 
schöpflich=gläubiges Gebet ist, betet hinfort jeder Christ, wenn 
auch zum Unterschied von Goethe nicht als einziges Gebet. 
Und dieses Gebet beten hinfort auch die Völker und alle welt 
lichen Ordnungen der Christenheit. Sie alle wissen nun, daß 
ihr Leben Eigenleben sein muß und grade als solches eingefügt 
ist in den Gang der Welt; sie alle finden die Rechtfertigung
	        
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