VOM REICH
M
Diese Kraft überkam die Welt in der als Kirche grundsätz
lich unsichtbaren, nur als Zeit, als weltgeschichtliche Epoche,
als Säkulum, sichtbaren Gestalt der paulinischen Jahrhunderte.
Das sind die Jahrhunderte, wo die von der petrinischen Kirche
begründete Welteinheit aller Enden zu zerbrechen schien, wo
überall die heidnischen Gestalten wieder lebendig wurden, wo
' die Nationen die Christenheit, die Staaten das Reich, die Indi
viduen den Stand, die Persönlichkeiten den Beruf zu sprengen
versuchten. Der christliche Weltleib schien in diesen drei, ja
mit den Auswirkungen vier Jahrhunderten sich wieder zu zer
setzen; es war der Preis, um den die Christianisierung der
Seele, die nachträgliche Bekehrung des nie ganz gestorbenen,
nun wiedererweckten heidnischen Geistes gelang. Als die Zeit
um war, da gab es keine zwiefache Wahrheit mehr; dem
Glauben war gelungen, woran die Liebe versagen mußte: die
Taufe der weltlosen, unsichtbaren, sich erinnernden Seele.
Ihre ganze Erinnerung, ihren ganzen Imhalt brachte jetzt die
Seele wie in der petrinischen Kirche ihre ganze Gegenwärtig
keit, die ganze Urmwelt ihres Tuns, Gott zum unsichtbaren
Opfer und empfing es in der unsichtbaren Spende des Glau
bens von ihm zurück. So war auch die Seele nun aus allen
Zäunen und Mauern befreit und lebte im Unbedingten.
Aber es war der »Glaube allein«, der sie in dieses Leben
geführt hatte. Es war die Seele allein, die es lebte. Wie die
petrinische Kirche die schwache Stelle ihres allzuleibhaftigen
Wesens verraten hatte in dem bösen Gedanken der zwiefachen
Wahrheit, so machte die deutsche idealistische Bewegung am
Ausgang der drei Jahrhunderte die Schwäche des allzusehr
bloß seelenhaften, besser: bloß geistigen Wesens des Glaubens
offen kund. Der Geist meinte so sehr »allein« zu sein, daß er
wirklich aus sich allein alles und alles aus sich allein erzeugen
könnte. Der Glaube hatte eben doch über dem Geiste den
Leib vergessen. Die Welt war ihm entglitten. Er hatte die
Lehre von der zwiefachen Wahrheit freilich abgetan. Aber
dafür handelte er in einer zwiefachen Wirklichkeit, nämlich der
rein inneren des Glaubens und der rein äußeren einer mehr und