Full text: Der Stern der Erlösung

DRITTER TEIL: EINLEITUNG 
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ebenfalls sich selbst unbefangen mit der Welt gleichsetzte, 
sicherte sich auch dies mittelländische Kaiserreich durch fest- 
land=durchschneidenden Wall und Graben sein Dasein gegen 
den Rest der Erde, den zu erobern es verzichtete. 
Und wie so das Ganze des Reichs das Schicksal der Welt 
von seinen Schultern wälzte, so war auch im Innern das 
Schicksal des Einzelnen nur sehr obenhin dem Schicksal 
des Ganzen verbunden. Wie die Geschichte der Haupt 
stadt durchaus nicht die Geschichte der Provinzen ist, so 
wird auch das Leben des einzelnen Menschen vom Leben 
der Gesamtheit eigentlich kaum berührt. Es ist kein Zufall, 
daß schließlich als das Ergebnis dieser mehrhundertjährigen 
Reichsgeschichte eine Verbuchung des privaten Rechts übrig 
blieb: der römische Bürger litt am Staat so wenig, wie er an 
ihm wirkte; das einzige, was ihm vom Ganzen kam, war Ein 
grenzung und Schutz seiner privaten Rechtssphäre, — ein 
Zaun gewissermaßen, der jeden gegen alle andern abschloß, 
wie der große Grenzwall das Reich gegen die Welt. In dieses 
Schein- und Widerbild eines Weltreichs setzten nun die Christen 
sein vollkommenes Gegenstück, das, äußerlich angelehnt an 
seine Gliederung, seinen unterm Andrang der vergebens durch 
Wall und Graben ausgeschlossenen Völkerwelt geschehenden 
Einsturz überdauerte und überdauert bis zum heutigen Tag: 
die römische Kirche. 
Die Sendboten des Nachfolgers Petri haben den Limes 
überschritten; sie sind hinausgegangen und haben alle Völker 
gelehrt. Die Kirche setzt sich keine äußeren Grenzen mehr, 
•wie es das Reich tat; sie gibt sich grundsätzlich an keiner 
Grenze zufrieden, sie weiß von keinem Verzicht. Und wie sie 
nach außen um aller Welt Schicksal ihren schützenden Mantel 
schlägt, so darf auch in ihrem Schoße keiner für sich bleiben. 
Von jedem verlangt sie unmittelbar das Opfer seines Selbst, 
aber jedem erstattet sie es in ihrer bemutternden Liebe reich 
lich zurück; ein jeder ist ein kostbares und unersetzliches, ein 
trotz aller andern stets einziges Kind. So hängt durch sie das 
Leben des Einzelnen unmittelbar am Leben aller Welt. Das
	        

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