VOM REICH
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das, was sie zu gewähren geneigt seien, und daß also für den
Fall, daß man um »Unrichtiges« bitte, man selbst von vorn
herein um Nichterfüllung bitten müsse.
Über diesen leeren Gedanken des »richtigen« Gebets
inhalts erhöht der Glaube den Gedanken der rechten Zeit. Es
gibt keinen an sich unrichtigen Gebetsinhalt. Das, was schein
bar kraß unrichtiger Inhalt ist und was zu beten dem frommen
Heiden ein Greuel wäre, das Gebet um eigenen Vorteil, das
egoistische Gebet — es ist nicht von seinem Inhalt her un
richtig; denn Gott will, daß der Mensch sein Eigenes habe, er
gönnt ihm, was er zum Leben braucht, ja mehr: was er im
Leben zu brauchen glaubt, ja was er nur immer wünschen
kann. All das gönnt ihm Gott, und weil er es gönnt, deshalb
gibt er es ihm, ja deshalb hat er es ihm schon gegeben, ehe er
noch darum bitten kann; es gibt dem Inhalt nach keine sün
dige Bitte; selbst eine so verbrecherische wie etwa die um
den Tod eines andern, wäre von Gott dem Beter schon er
füllt, ehe er sie bittet, indem er den Beter zum Einzelnen ge
schaffen hat; es ist ja schon so, ohne alles Gebet: der andre
muß sterben. Denn nur Andre können sterben; nur als Andrer,
nur als Er stirbt der Mensch. Das Ich kann sich nicht gestorben
denken; seine Angst vor dem Tode ist die Angst, das zu
werden, was es an gestorbenen Andern allein mit Augen sehen
kann: ein gestorbener Er, ein gestorbenes Es; nicht den
eigenen Tod fürchtet der Mensch, denn den kann das Ich, das
in der Offenbarung erweckte, in seinem Vorstellen, wie es
ist, gebunden an die Formen der Schöpfung, sich gar nicht
vorstellen, sondern den eigenen Leichnam. Der Schauder, der
ihn, den Lebendigen, angeweht hat, so oft er einen Toten sah,
befällt ihn, sowie er sich, den Lebendigen, selber als einen
Toten vorstellt, wo doch streng genommen der Tote nie als
»man selbst«, sondern stets nur als ein »andrer« vorgestellt
werden kann. Man selbst überlebt also ohnehin den andern,
jeden andern; denn der andre, jeder andre, ist tot schon als
andrer, schon von der Welt her; er ist als andrer geschaffen,
und als Geschaffener vollendet er sich zum Geschaffenen im