DRITTER TEIL: EINLEITUNG
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leuchtung zugleich der Weg, und zwar im Gegensatz zu der
Allgemeinsamkeit des Ziels ihr persönlicher Weg, erleuchtet
wird, so richtet sie sich nun zunächst auf die Stationen dieses
Wegs. Und diesen gesichteten Stationen eilt sie nun zu, so
rasch wie möglich, jeden Verzug scheuend, ja alle Gefahr im
Verzüge wähnend. Das Nächste des Gefühls wird nun über
sprungen; die Station, die in der Erleuchtung als die erste am
Wege zum Fernsten erkannt ist, tritt nun für jenes Nächste
ein; ihr möchte die Liebe im Sprunge zueilen. An Stelle des
Nächsten tritt der Liebe das Übernächste. Den Nächsten ver
drängt ihr der Übernächste. Sie übersieht und überhört den
einen, um in gewaltig=gewaltsamem Überspringen den andern
zu erreichen. Und weil sie Liebe ist und also immer wirkt, so
muß es ihr auch gelingen.
Und so kommt das Gebet, das an sich keine magischen
Kräfte hat, dennoch, indem es der Liebe den Weg erleuchtet,
zu magischen Wirkungsmöglichkeiten. Es kann in die göttliche
Weltordnung eingreifen. Es kann der Liebe die Richtung geben
auf etwas, was noch nicht reif zur Liebe, noch nicht reif zum
Beseeltwerden ist. Und es kann so, indem es Fernes heran
beschwört, schuld sein, daß der Mensch sein Nächstes,
wenigstens insofern es nur sein und keines andern Nächstes
ist, vergißt, ja verleugnet und so wenigstens er keinen Rück
weg mehr zu seinem Nächsten findet. Indem das Gebet um das
Kommen des Reichs Gebet des Einzelnen ist, kommt es in
Gefahr, das Übernächste vor dem Nächsten zu bevorzugen.
Solche Bevorzugung ist aber in Wahrheit Bevorzugung, Her
vorziehen der zögernd hergezogen kommenden Zukunft, ehe
diese Zukunft nächst gegenwärtiger Augenblick und als solcher
reif zur Verewigung geworden ist. Das Gebet des Einzelnen
ist so, grade wenn es erfüllt wird und seinen Beter also
erleuchtet, stets in Gefahr — Gott zu versuchen.
Die Möglichkeit, Gott zu versuchen, widerspricht also nicht
der göttlichen Weltordnung. Das würde sie nur, wenn der
Mensch nun wirklich die Kraft hätte, seinen Übernächsten
nicht bloß zu lieben, sondern ihn dadurch auch zu verewigen.