VOM REICH
337
22
Antrieb habe, sich in allen Anfechtungen sein Vertrauen zu be
wahren, und nicht auf die unsterbliche Stimme von Hiobs
Weib höre, die ihm zuredet: fluche Qott und stirb!
Der Mensch muß also wissen, daß er bisweilen versucht
wird um seiner Freiheit willen. Er muß lernen, an seine Frei
heit zu glauben. Er muß glauben, daß sie, wenn sonst viel
leicht auch überall beschränkt, Gott gegenüber ohne Grenzen
ist. Gottes Gebot selber, gegraben in steinerne Tafeln, es muß
ihm, nach einem unübersetzbaren Wortspiel der Alten, »Frei
heit auf Tafeln« sein. Alles, heißt es ebenda, alles liegt in
Gottes Hand, nur eines nicht: die Furcht Gottes. Und diese
Freiheit, worin soll sie sich kühner bekunden als in der Gewiß
heit, Gott versuchen zu können? So kommen wirklich im Gebet
von beiden Seiten, von Gottes wie von der Seite des
Menschen, die Möglichkeiten des Versuchens zusammen; das
Gebet ist eingespannt zwischen diese zwei Möglichkeiten; in
dem es sich vor Gottes Versuchung fürchtet, weiß es doch in
sich die Kraft, Gott selber zu versuchen.
Aber was ist es mit dieser Kraft des Gebets? Hat also wirk
lich der Mensch Gewalt über Gott und kann im Gebet dem
Schöpfer in den ausgereckten Arm fallen, der Liebe des Offen-
barers sein Gesetz auflegen? Unmittelbar doch schwerlich,
sonst wäre der Schöpfer nicht Schöpfer, der Offenbarer nicht
Offenbarer. Aber anders könnte es sein, insofern das Werk
des Schöpfers und die Tat des Offenbarers sich zueinander
finden in der Erlösung. Da allerdings könnte es wohl ge
schehen, daß der Mensch gewalttätig eingriffe in das Walten
der göttlichen Macht und Liebe; denn die Erlösung ist ja eben
nicht unmittelbar Gottes Werk oder Tat, sondern wie Gott der
Schöpfung die Kraft gab, in sich selber lebendig zu wachsen,
so befreite er in seiner Liebe die Seele zur Freiheit der
Liebestat.
Aber nicht jene Freiheit der Liebestat eigentlich ist es, die
in Gottes Walten eingriffe. Sie ist ja selber von Gott gewollt;
es ist Gottes Gebot, den Nächsten zu lieben. Sondern wirklich