ERLÖSUNG
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voller Figur«. Indem er sich nun der einzelnen Einzelheit zu
wendet, wird er an dieser zum Kenner, gewinnt Bewegtheit.
Auch hier entwickelt sich im Betrachter etwas Entsprechendes
wie beim Urheber die Bewußtheit des Künstlertums. Und so
wenig wie dort Schöpfer und Künstler für sich allein bestehen
konnten, so wenig jetzt Phantasie und Bewußtheit. Die unge
ordnete Breite des Besitzes an künstlerischen Vorstellungen
muß ganz von Bewußtsein durchmessen werden, damit die
Kunst dem Betrachter nicht ein lästiger oder gleichgültiger
Besitz von zufällig erworbenen Vorstellungen ist, sondern der
köstliche, in langem Leben aufgesammelte und liebevoll ge
ordnete innere Besitz und Schatz der Seele. So geht die Türe
auf vom Eigenreich der Kunst und es öffnet sich der Weg ins
Leben.
So war es ja durchweg gewesen: Immer fiel unter die
Kategorie der Schöpfung eine gewissermaßen naturhafte
Grundlage, immer unter die Kategorie der Offenbarung das
Fachmäßige, Schwierige, mit Müh und Fleiß zu erwerbende,
das spezifisch »Ästhetische«, und immer unter die der Er
lösung das Eigentliche, das Sichtbare, das was schließlich
»herauskommen« muß und um wessentwillen allein alles andere
vorangehen mußte. Der Urheber, das Genie, muß da sein, man
kann es nicht erzwingen, und im Genie ist wiederum das
Schöpferische, die Phantasie, so wenig zu kommandieren wie
die aufnehmende Phantasie des Betrachters, gegen die auch,
wenn sie einmal sich nicht auftun will, schlechthin nichts zu
machen ist. Innerhalb des Werks wiederum ist das »Epische«
des Stoffes das Gegebene, und unter den Künsten ist die bil
dende wohl in der Geschichte der Menschheit wie in der Ent
wicklung des Einzelnen die älteste. Und wiederum sind Vision,
Rhythmus, Klang die eigentlichen Inhalte des Augenblicks der
Konzeption und einfürallemal gegeben, so daß nichts daran zu
ändern ist. Und andrerseits ist das Werk das, woran die Welt
der Kunst sofort nach außen erkennbar wird; es ist ihr Merk
mal mehr als der Urheber und der Betrachter — Genie wie
Publikum gibt es auch außerhalb der Kunst. Im Urheber wie