ZWEITER TEIL: DRITTES BUCH
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duelle »Klang«, den eben nur hört, wer sich des Dichters Mah
nung »Nur nicht lesen, immer singen!« zu Herzen nimmt.
Aber beides für sich allein wäre noch nicht das Gedicht.
Schöner Klang allein wäre bloßer Ohrenschmaus, schöne
Sprache allein bloße Phrase. Erst die »Idee« gibt der Dichtung
Leben. Die Dichtung hat wirklich eine »Idee«. Bloß die An
wendung dieses Ausdrucks auf Musik und Malerei hat ihn mit
Recht verdächtig gemacht. Denn freilich die einzige »Idee«
des bildenden Kunstwerks wäre die Gestalt, die einzige des
Musikwerks sein Melos. Denn die Idee gilt uns nicht für
etwas, was hinter dem Werk steckt, sondern im Gegenteil
grade für das ästhetisch-sinnlich Wahrnehmbare, das eigent
lich Wirkliche und Wirkende des Werks. Und das ist für die
Poesie, für die eben das Denken die gleiche Bedeutung hat
wie das Auge für die bildende Kunst, das Ohr für die Musik,
wirklich nichts andres als die Idee. Die Idee ist das, was aus
der Dichtung zum Beschauer »spricht«, wie die Melodie aus
dem Musikwerk, die bildhafte Gestalt aus dem Werk der Augen
kunst. Sie steht nicht irgendwo hinter der Dichtung, sondern
darinnen. Auch hier ist die Dichtung wieder unter den Künsten
die, welche mitten auf den Markt des Lebens hinaustritt, ohne
ihre Würde ängstlich wahren zu müssen. Das Element, in wel
chem sie existiert, ist eben das gleiche, worin auch das Leben
selber zumeist sich verweilt: denn auch das Leben spricht
mehr die Prosasprache des Denkens als die erhöhte des Ge
sangs und bildhafter Gebärde.
Diese Umlenkung ins Leben, wie wir sie ja überall unter
der Kategorie der Erlösung in der Kunstlehre wahrnahmen
und wie sie uns erst späterhin in ihrem Sinn ganz aufgehen
wird, geschah für die Kunst überhaupt im Publikum, im Be
trachter. In ihm wird noch einmal alles an- und aufgeregt,
was in das Kunstwerk hineingesenkt war, und indem es in ihm
aufgeregt wird, fließt es ins Leben hinüber. Der Grund der
Seele des Betrachters wird in seiner ganzen Weite ausgefüllt
mit der Summe der Vorstellungen, welche die Kunst in ihm
erregt hat. Er ist, wie das Schöpferische im Urheber, »innerlich