ERLÖSUNG *
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kann dem Dichter den Abstand zum eigenen Werk geben, die
ihm den Genuß möglich macht. Wer also schlägt nun die
Brücke vom Werk zum Urheber? Denn daß in beiden die Welt
der Kunst erst anfängt, das weist am Werk der Umstand, daß
es nur einzelnes Werk, am Urheber der, daß er nur möglicher
Urheber ist. Wer schlägt also die Brücke, auf der das Werk
aus seiner umheimlichen Vereinsamkeit einzieht in ein geräu
miges menschliches Zuhause, aus dem es nicht mehr heraus
gerissen werden kann und wo es sich zusammenfindet mit
vielen seinesgleichen, die hier gemeinsam und dauernd mit
einander leben? Dieser Ort, wo die Werke ein breites, leben
diges, dauerndes Dasein im Schönen gründen und wo die Be
seeltheit der einzelnen Werke selber nach und nach ein reiches
Ganzes von menschlichem Leben ästhetisch beseelt, ist der
Betrachter.
Im Betrachter ist die leere Menschlichkeit des Urhebers
und die gehaltreiche, seelenvolle Unheimlichkeit des Werks
zusammengewachsen. Ohne den Betrachter wäre das Werk,
da es ja zum Urheber nicht »spricht« und Pygmalion ver
gebens sich den selbstgebildeten Marmor zu beleben sucht,
stumm, nur Gesprochenes, nicht Sprache; erst zum Betrachter
»spricht« es. Und ohne den Betrachter wäre es ohne alle
dauernde Auswirkung in die Wirklichkeit. In der Herstellung
bemalter Leinwände, behauener Steine, beschriebener Blätter
geht die Kunst ja wahrhaftig nicht ins wirkliche Leben über.
»Vandalen« haben noch immer nur Totes getötet. Sondern
um in die Wirklichkeit überzugehen, muß die Kunst Menschen
umschaffen. Die Künstler, diese paar Unmenschen, die einzeln
verstreut unter der Menge leben, sind das aber durchaus nicht.
Schon weil ihre Urheberschaft ähnlich wie das kreatürliche
Dasein der Welt immer nur in dem Augenblick der Schöpfung
des einzelnen Werks wirklich ist; woher es ja auch kommt,
daß zwischen den einzelnen Werken dies Künstlertum des
Künstlers wie erloschen zu sein scheint, bis es in einem neuen
Werk zeigt, daß es immer noch da ist. In den Künstlern, den
Bohemevierteln der Großstädte, den Künsterkolonien auf dem