3oö ZWEITER TEIL: DRITTES BUCH
sendes Leben sei. Daß sie kreatürliches Dasein habe, genügt
ihr mit nichten; sie verlangt mehr von ihr: gesetzmäßige
Dauer, Zusammenhang, Gliederung, Wachstum, — kurz all
das, was sie selbst in der anarchischen Freiheit, Unmittelbar
keit, Augenblicklichkeit ihrer Tat zu verleugnen scheint.
Grade weil sie es bewußt verleugnet, setzt sie es unbewußt
voraus. Die Seele verlangt als Gegenstand ihrer Beseelung ein
gegliedertes Leben; an ihm übt sie dann ihre Freiheit aus und
beseelt es in all seinen einzelnen Gliedern und sät in diesen
Boden der lebendigen Gestalt überall Keime aus von Name,
seelenhaftem Eigensein, Unsterblichkeit.
So sind alle menschlichen Beziehungen, schlechthin alle,
Blutsverwandtschaft, Brüderschaft, Volkstum, Ehe, alle be
gründet in der Schöpfung; es ist da nichts, was in seinen
Wurzeln nicht von uran ist und schon im Tierreich vorge
bildet, und alle werden durch die Neugeburt der Seele aus der
Offenbarung dann doch in der Erlösung erst beseelt. Sie alle
wurzeln in der Blutsgemeinschaft, die unter ihnen wieder das
Schöpfungsnächste ist, und beseelt in der Erlösung streben
sie alle, zu arten nach dem großen Gleichnis der Ehe, die
unter ihnen das Erlösungsnächste ist: ganz allsichtbar da
seiende Gestalt gewordnes Geheimnis der Seele, ganz mit
Seele erfülltes gegliedertes Leben. Deswegen war es, daß die
Seele auf dem Gipfel der Liebe nach der geschaffnen Bluts
gemeinschaft sich hinübersehnte; erst in der schicksalshaften,
nein gottgegebenen Vereinigung jener und dieser, in der Ehe,
findet sie ihre Erlösung. Und über die gleichzeitigen Verhält
nisse der Menschen untereinander hinaus: das Reich der Welt,
das in sich gegliederte, in sich wachsende nach eigenem Ge
setz, der Weltgeschichte in sich selber weitertreibender Gang,
der Völker Leben und der diesem Leben umgelegte harte
Panzer von Recht und staatlicher Ordnung — das alles ist
Schöpfungsgrund, den die Erlösung zum Reich Gottes braucht.
Die Liebe greift, erschütternd scheinbar, ein in diesen Glieder
bau und löst bald hier und dort ein Glied zu eignem Leben,
das den Zusammenhalt des Ganzen zu zersprengen droht. In