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ZWEITER TEIL: DRITTES BUCH
solche Vorwegnahme ist der Augenblick nicht ewig, sondern
ein sich immerwährend Weiterschleppendes auf der langen
Heerstraße der Zeit.
V on zwei Seiten also wird an das verschlossene Tor der
Zukunft gepocht. In dunklem, aller Rechnung entzogenem
Wachstum drängt das Leben der Welt heran; in heißem
Herzensüberfluß sucht die sich heiligende Seele den Weg zum
Nächsten. Beide, Welt wie Seele, pochen an das verschlos
sene Tor, jene wachsend, diese wirkend. Auch alles Wirken
geht ja in die Zukunft, und der Nächste, den die Seele sucht, ist
ihr immer bevorstehend und wird nur in denrgrade augen
blicklich vor ihr stehenden vorweg^genommen. Wachsen wie
Wirken werden durch solche Vorwegnahme ewig. Was aber
ists, was sie vorwegnehmen? Nichts andres als — einander.
Das in Tat und Bewußtsein ganz dem augenblicklich Nächsten
zugewandte Wirken der Seele nimmt bei diesem Wirken doch
im Wollen alle Welt vorweg. Und das Wachsen des Reichs
in der Welt, wenn es hoffend das Ende schon für den nächsten
Augenblick vorwegnimmt — auf was wohl wartet es für diesen
nächsten Augenblick, wenn nicht auf die Tat der Liebe? Dies
Warten der Welt ist ja selbst ein Erzwingen jener Tat. Würde
das Reich nur mit stummem, stumpfem, treibendem Triebe
wachsen und so ins Unendliche der Zeit immer fort, immer
fortschreitend, ein Ende vor sich nur in der Unendlichkeit, so
wäre die Tat gelähmt, und weil ihr das Fernste unendlich fern
wäre, so wäre ihr auch das Nächste und der Nächste unerreich
bar. So aber, wo das Reich in der Welt mit unberechenbarem
Schritte fortschreitet und jeder Augenblick bereit sein muß, die
Fülle der Ewigkeit aufzunehmen, ist das Fernste das in jedem
nächsten Augenblick Erwartete, und so wird das Nächste, das
ja nur der Platzhalter des Fernsten, des Höchsten, des Ganzen
ist, in jedem Augenblick greifbar.
So wirken Mensch und Welt hier in unauflösbarer Wechsel
wirkung aufeinander und miteinander. Das ist ja das in allem
Handeln Unlösbare: daß die Freiheit gebunden ist an den