ERLÖSUNG
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ewigung des Augenblicks erlischt in dem islamischen wie im
modernen Begriff der Zeitalter. Hier bilden die Zeiten zwar
eine unendliche Reihe, aber unendlich ist nicht ewig, unendlich
ist nur »immerzu«. Im islamischen Zeitbegriff, wie er in der
Imamlehre und im Idschmabegriff verborgen ist, wird die Folge
der Zeiten in die unendliche Gleichgültigkeit einer Abfolge aus
einandergezogen, so daß, wenngleich jedes einzelne Glied ganz
augenblicklich ist, ihre Summe, wenn man sie bildet, eher einer
Vergangenheit als einer Zukunft gliche. Daß jedes Zeitalter
gleich unmittelbar zu Gott sei, ist ja eben auch der echte Ge
danke des reinen, zum bloßen Werkzeug der Erkenntnis des
Gewesenen ausgelöschten Historikers. Und im Gedanken des
Fortschritts scheint zwar zunächst wenigstens der Zusammen
hang, das Wachstum, die Notwendigkeit genau wie im Ge
danken des Reichs Gottes lebendig zu sein. Aber alsbald ver
rät er sein Inneres durch den Begriff der Unendlichkeit; wenn
von »ewigem« Fortschritt auch geredet wird — in Wahrheit
ist immer nur »unendlicher« Fortschritt gemeint, ein Fort
schritt, der so immer weiter fort schreitet und wo jeder Augen
blick die verbürgte Gewißheit hat, noch an die Reihe zu
kommen, also seines Daseinwerdens so sicher sein darf wie
ein vergangener seines Schondaseins. Gegen nichts sträubt
sich also dieser echte Fortschrittsgedanke so wie gegen die
Möglichkeit, daß das »ideale Ziel« vielleicht schon im nächsten,
ja in diesem Augenblick erreicht werden könnte und müßte. Es
ist gradezu das Schiboleth, an dem man den Gläubigen des
Reichs, der nur um die Zeitsprache zu sprechen das Wort
Fortschritt gebraucht und in Wahrheit das Reich meint, von
dem echten Fortschrittsanbeter unterscheiden kann: ob er sich
gegen die Aussicht und Pflicht der Vorwegnahme des »Zieles«
im nächsten Augenblick nicht zur Wehr setzt. Ohne diese
Vorwegnahme und den inneren Zwang dazu, ohne das »Her
beiführenwollen des Messias vor seiner Zeit« und die Ver
suchung, das »Himmelreich zu vergewaltigen«, ist die Zukunft
keine Zukunft, sondern nur eine in unendliche Länge hin
gezogene, nach vorwärts projizierte Vergangenheit. Denn ohne
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