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ZWEITER TEIL: DRITTES BUCH
lagen eine Scheidung, besser: eine Richtung. Der Mensch, der
einmal von seinem Daimon besessen ist, hat für sein ganzes
Leben »Richtung« bekommen. In dieser ihn einfürallemal
richtenden Richtung ist sein Wille nun bestimmt zu laufen;
indem er Richtung erhalten hat, ist er in Wahrheit schon ge
richtet. Denn das, was im Menschen dem Gericht unterliegt,
der wesenhafte Wille, ist in seiner Richtung schon einfüralle
mal festgelegt.
Festgelegt nämlich, wenn nicht das einzige geschieht, was
dieses Einfürallemal wieder unterbrechen und das Gericht
mitsamt der Richtung entkräften kann: die innere Umkehr.
Und eben die geschieht dem Menschen, wie sie Gott und Welt
geschieht, indem sie aus ihrer vor- und unterweltlichen Ver
schlossenheit ins Licht der Offenbarung steigen. Jetzt bleibt
die Willensrichtung Willensrichtung; aber sie ist nun nicht
mehr einfürallemal festgelegt, sondern in jedem Augenblick
stirbt sie und wird erneut. Dieser allzeit erneuerungsfähige
und wirklich sich erneuernde Wille, der aber nichts von kurz
lebiger Willkür hat, sondern in jedem einzelnen seiner Akte
die ganze Kraft des in ihm eingemündeten festgerichteten
Charakters auswirkt, dieser Wille — wie sollen wir ihn
nennen? Der schicksalhaften göttlichen Liebe, dem, daß
Gott gar nicht anders kann als lieben, wenn auch mit einer
Liebe, die als echte Liebe ganz in den Augenblick versenkt ist
und weder von Vergangenheit noch von Zukunft unmittelbar
etwas weiß, dieser göttlichen Liebe entspricht also jene Kraft,
die wir aus dem Menschen hervorbrechen sahen, mit nichten.
Denn sie kommt gar nicht wie mit schicksalhafter Übermacht
über den Menschen, sondern scheint ihm in jedem Augenblick
neu und in jedem Augenblick ganz und gar aus seinem eigenen
Innern mit der ganzen Wucht des gerichteten Willens hervor
zubrechen. Wie also sollen wir diese aus den Tiefen der
eigenen Seele immer neu ins Außen brechende nicht schick
salhafte, sondern willensgetragene Kraft nennen?
Die Antwort kann nicht schwer fallen, wenn wir uns
erinnern, daß diese Kraft die in dem Gebot der Liebe zu Gott