Full text: Der Stern der Erlösung

ERLÖSUNG 
Mensch müßte im Absoluten leben. Und so werden nun auf 
diesen Ossa Faust in immer neuen titanischen Entwürfen neue 
Pelions gestülpt, um die Höhe der wahrhaft absoluten Tra 
gödie zu erreichen. Jeder Tragiker sucht einmal seinen Faust 
zu schreiben; im Grunde versuchen sie alle, was einer der 
ersten versuchte: Faust durch Don Juan zu ergänzen, die 
Weltanschauungs- zur Lebenstragödie zu steigern. Das kaum 
gewußte Ziel dabei ist dies: an Stelle der unübersehbaren 
Vielheit der Charaktere den einen absoluten Charakter zu 
setzen, einen modernen Helden, der ebenso ein einer und 
immergleicher ist wie der antike. Dieser Konvergenzpunkt, 
in dem sich die Linien aller tragischen Charaktere schneiden 
würden, dieser absolute Mensch, der dem Absoluten nicht nur 
wissend gegenübersteht, sondern der es erlebt hat und der 
aus diesem Erlebnis heraus nun in ihm lebt, dieser Charakter, 
nach welchem die Fausttragödien nur langen, ohne ihn, weil 
sie immer noch im begrenzten Leben stecken bleiben, zu 
erreichen, ist kein andrer als der Heilige. 
Die Heiligentragödie ist die geheime Sehnsucht des Tra 
gikers, eine vielleicht unstillbare Sehnsucht, denn es könnte 
wohl sein, daß dieses Ziel in einer der Tragödie undurch- 
meßbaren Entfernung läge und diese Einheit des tragischen 
Charakters eine Tragödie, die nun einmal wesentlich Charak 
tertragödie ist, unmöglich machen würde, so daß also der 
Heilige zum Helden einer Tragödie nur werden könnte durch 
den ihm beigemischten Erdenrest der Unheiligkeit. Aber 
einerlei ob also dies Ziel für den tragischen Dichter noch ein 
erreichbares Ziel sei oder nicht, jedenfalls ist es, auch wenn 
für die Tragödie als Kunstwerk unerreichbar, für das moderne 
Bewußtsein das genaue Gegenstück zum Helden des antiken. 
Der Heilige ist der vollkommene, nämlich absolut im Abso 
luten lebende und also dem Höchsten erschlossene und zum 
Höchsten entschlossene Mensch, im Gegensatz zu dem in der 
einen immergleichen Finsternis des Selbst verschlossenen 
Helden. An die Stelle, die in der Vorwelt-der Freiherr seines 
Selbst einnahm, tritt in der erneuten und allzeit sich erneu 
ernden Welt der Knecht seines Gottes.
	        
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