ERLÖSUNG
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zu werden, er sieht es selbst. Denn der Held der neueren Tra
gödie, der, eben gar nicht mehr im alten Sinne »Held«, ihm
gar nicht mehr »wie die Antike starr entgegenkömmt«, ist mit
Empfänglichkeit und Willen ganz in das Hin- und Wider
strömen der Welt hineingeworfen, ganz lebendig und voll
unverhehlter Scheu vor dem offenen Grab. Diesen Helden,
der sehr Mensch ist und an allen Gliedern zittert vor lauter
Sterblichkeit — aus dieser Erde quillen seine Freuden, und
diese Sonne scheinet seinen Leiden —, diesen Helden sieht
der Zuschauer zu voller Lebendigkeit erwachen im Dialog;
da ist — genau umgekehrt wie im antiken Dialog — alles
Wille, alles Wirkung und Gegenwirkung; kein Raum bleibt
für eine über den Augenblick sich erhebende Bewußtheit. Der
Zuschauer kann gar nicht anders; er muß den Helden, den er
wollen und wirken sieht, für lebendig erkennen; er wird selber
im Geiste mit auf die Szene gerissen; nicht aber das Selbst
gefühl des Helden wird in ihm erweckt und dadurch Furcht
und Mitleid, wie beim Zuschauer in der antiken Tragödie,
sondern der Mensch auf der Bühne zwingt den Menschen im
Parkett in das Gefühl seines Mitunterredners hinein; nicht zu
Furcht und Mitleid steigert ihn das Geschehen auf der Bühne,
sondern zu Widerspruch und Mitgerissenheit. Auch im Be
schauer wird der Wille aufgeregt, nicht die wissende Ahnung.
Am deutlichsten wird dieser Unterschied in den Augen
blicken, wo der neue Held mit sich selber allein ist. Der antike
hatte im Monolog recht eigentlich und am ehesten noch sein
Heldentum ausleben können. Hier, mit sich allein, konnte er
ganz in sich gesammelter, in sich versenkter Willenstrotz sein,
ganz Selbst. Für den neueren sind die Monologe bloße Ruhe
punkte, Augenblicke, wo er aus seinem eigentlichen so be
wegten wie handelnden Leben, das er in den Dialogen lebt,
gewissermaßen ans Ufer tritt und für eine Weile zum Be
trachter wird. Selbstbetrachtung, Einordnung der eigenen
Existenz in die Welt, Entschlußklärung, Niederschlagung von
Zweifeln — immer bedeutet dieser neue Monolog eine Spanne
Bewußtsein in der übrigens bewußtseinslosen, in Tat und