ERSTER TEIL: EINLEITUNG
mußte er ihr zerrinnen. Die Ethik, mochte sie noch so sehr
grundsätzlich der Tat eine Sonderstellung allem Sein gegen
über geben wollen, riß in der Ausführung gleichwohl mit Not
wendigkeit die Tat wieder hinein in den Kreis des wißbaren
All; jede Ethik mündete schließlich wieder in eine Lehre von
der Gemeinschaft als einem Stück Sein. Offenbar bot es nicht
genügend Gewähr gegen dieses Einmünden, wenn man bloß
die Besonderheit des Handelns gegenüber dem Sein auszeich
nete; man hätte einen Schritt weiter zurück tun müssen und
das Handeln in der seinshaften Grundlage eines dennoch von
allem Sein abgetrennten »Charakters« verankern; so allein
wäre es als eine eigene Welt gegenüber der Welt zu sichern
gewesen. Aber von dem einzigen Kant abgesehn ist das nie
mals geschehen, und gerade bei Kant hat durch die Formulie
rung des Sittengesetzes als der allgemeingültigen Tat wieder
der Begriff des All über das Eins des Menschen den Sieg da
vongetragen; so versank das — wie er den Freiheitsbegriff
genial bezeichnete — »Wunder in der Erscheinungswelt« mit
einer gewissen historischen Folgerichtigkeit bei den Nach
kantianern wieder in dem Wunder der Erscheinungswelt;
Kant selbst steht bei Hegels Weltgeschichtsbegriff Pate, nicht
bloß in seinen staats- und geschichtsphilosophischen Ansätzen,
sondern schon in den ethischen Grundbegriffen. Und Schopen
hauer hat zwar Kants Lehre vom intelligibeln Charakter in
seiner Lehre vom Willen aufgenommen, aber ihren Wert, und
in entgegengesetzter Richtung wie die großen Idealisten, ent
wertet. Indem er den Willen zum Wesen der Welt machte,
ließ er zwar nicht den Willen in die Welt, aber die Welt in
den Willen aufgehen und vernichtete so die in ihm selbst
lebendige Unterscheidung zwischen dem Sein des Menschen
und dem Sein der Welt.
Jenseits also des Kreises, den die Ethik beschrieb, mußte
das von Nietzsche dem Denken erschlossene Neuland liegen.
Gerade wenn man nicht in blinder Zerstörungsfreude die gei
stige Arbeit der Vergangenheit zerstören, sondern sie viel
mehr in dem, was sie geleistet hat, voll gelten lassen will,