Full text: Der Stern der Erlösung

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ZWEITER TEIL: ZWEITES BUCH 
jeweils gegenüberstehende Einzelheit versenken und sie als 
einzelne mit dem Leben erfüllen, das sie erst durch diese, run 
dende, »liebevolle« Arbeit des selbstvergessenen Fleißes ge 
winnen kann. Umgekehrt lohnt die so lebendig gewordene 
Einzelheit wiederum dem Urheber den in sie hineingesenkten, 
immer frischen, stets so, als wenn nur sie allein da wäre, ar 
beitenden Fleiß, indem sie ihn zum Bewußtsein seiner selbst 
bringt. Als Schöpfer weiß das Genie nicht, was es tut noch 
was es ist; als Künstler, in der »ungenialen«, gewissermaßen 
handwerklichen Arbeit erwacht es zum Bewußtsein; nicht die 
Fülle seiner Geschöpfe, sondern die liebevoll belebte einzelne 
Gestalt bezeugt ihm selbst sein Dasein. Sein Schöpfertum ist 
seine Selbstschöpfung; er ist schon darin Genie, aber er weiß 
es nicht; im Künstlertum aber geschieht ihm seine Selbst 
offenbarung. 
Gehen wir weiter zum Werk und stellen auch es unter die 
beiden uns bisher bekannten Kategorien. Es gibt ja im Werk 
ganz allgemeine »Eigenschaften«, die jedes Werk, einerlei 
welcher Art, aufweist. Es sind nicht jene ganz allgemeinen 
Eigenschaften, die das Werk erst als Werk überhaupt charak 
terisieren, sondern solche, die — das Werk einmal gegeben — 
seine Art näher beschreiben. Sie sind alle in jedem Kunstwerk 
aufweisbar, aber allerdings in verschiedenen Graden, und die 
Eigenart des Kunstwerks beruht auf dem Hervortreten der 
einen oder andern. Die drei Elemente des Werks, daß es ein 
Ganzes ist, daß es Einzelheiten hat und daß Seele in ihm ist, 
wirken in ihnen zusammen. Indem die Ganzheit des Werks, 
das als was es konzipiert ist, sich in der Ausführung der Ein 
zelheiten verwirklicht, entsteht das, was man in jedem Werk 
als sein Episches bezeichnen darf, »episch« also hier ohne be 
sonderen Hinblick auf die Dichtungsgattung gemeint; im Epos 
ist dies »Epische« selber nur eine Eigenschaft. Es gehört zu 
jedem Kunstwerk eine Fülle von Einzelheiten; der Gedanke 
des Ganzen ist für sich noch gar nichts, ist bloß ein »ver 
borgenes« Werk; offenbar wird das Werk erst, indem der 
Gedanke'die Einzelheiten aus sich heraussetzt. Er bleibt diesen
	        

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