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ERSTER TEIL: EINLEITUNG
vollendete Werk dem Verleger anbot. Da erklärt er für
den Inhalt der Philosophie den Gedanken, mit dem ein indi
vidueller Geist auf den Eindruck, den die Welt auf ihn ge
macht, reagiere. »Ein individueller Geist« — es war eben
doch der Mensch Arthur Schopenhauer, der hier die Stelle
einnahm, die nach der geltenden Auffassung vom Philoso
phieren das Problem hätte einnehmen müssen. Der Mensch,
das »Leben«, war das Problem geworden, und weil er es in
Form einer Philosophie zu lösen »sich vorgesetzt« hatte, so
mußte nun der Wert der Welt für den Menschen in Frage ge
stellt werden — eine, wie schon zugegeben, höchst unwissen
schaftliche Fragestellung, aber eine um so menschlichere. Um
das wißbare All hatte sich bisher alles philosophische Interesse
bewegt; auch der Mensch hatte nur in seinem Verhältnis zu
diesem All Gegenstand der Philosophie sein dürfen. Nun trat
dieser wißbaren Welt selbständig ein andres gegenüber, der
lebendige Mensch, dem All das jeder Allheit und Allgemein
heit spottende Eins, der »Einzige und sein Eigentum«. Nicht in
dem so iiberschriebenen Buch, das eben doch nur Buch war,
sondern in der Tragödie des Nietzscheschen Lebens wurde dann
dies Neue unausreißbar in das Flußbett der Entwicklung des
bewußten Geistes eingerammt.
Denn nur hier war es ja etwas Neues. Die Dichter hatten
immer schon vom Leben gehandelt und von der eigenen Seele.
Aber die Philosophen nicht. Und die Heiligen hatten immer
schon das Leben gelebt und der eigenen Seele. Aber
wieder die Philosophen nicht. Hier aber kam einer, der von
seinem Leben und seiner Seele wußte, wie ein Dichter, und
ihrer Stimme gehorchte, wie ein Heiliger, und der dennoch
Philosoph war. Beinahe gleichgültig ist es schon heute, was
er erphilosophierte. Das Dionysische und der Übermensch, die
blonde Bestie, die ewige Wiederkunft — wo sind sie geblieben?
Aber er selber, der in den Wandlungen seiner Gedankenbilder
sich selber wandelte, er selber, dessen Seele keine Höhe
scheute, sondern dem tollkühnen Kletterer Geist nachkletterte
bis auf den steilen Gipfel des Wahnsinns, wo es kein Weiter