OFFENBARUNG
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Ich habe gesündigt, spricht die Seele und tut die Scham
ab. Indem sie es so spricht, rein in die Vergangenheit zurück,
reinigt sie die Gegenwart von der vergangenen Schwachheit.
Ich habe gesündigt, heißt: Ich war Sünder. Mit diesem Be
kenntnis des Gesündigthabens aber macht die Seele die Bahn
frei für das Bekenntnis: Ich bin ein Sünder. Dies zweite aber
ist schon das volle Geständnis der Liebe. Es wirft den Zwang
der Scham weit weg und gibt sich ganz der Liebe hin. Daß
der Mensch ein Sünder war, ist im Bekenntnis abgetan; zu
diesem Bekenntnis hatte er die Scham überwinden müssen,
aber sie blieb neben ihm stehen, solange er bekannte. Jetzt
erst, wo er, trotzdem er die vergangene Schwachheit von sich
getan hat, gleichwohl bekennt noch Sünder zu sein, weicht die
Scham weg von ihm. Ja, daß sich sein Geständnis in die
Gegenwart wagt, ist das Anzeichen dafür, daß es die Scham
überwunden hat. Solange es sich noch im Vergangenen ver
weilte, hatte es noch nicht den Mut, sich voll und vertrauend
auszusprechen, es konnte noch an der Antwort zweifeln, die
ihm werden würde; denn allerdings war der Seele bisher aus
Gottes Munde nur Namensanruf und liebeheischendes Gebot
gekommen, noch keine »Erklärung«, noch kein »Ich liebe
dich«, und es durfte, wie wir wissen, auch keines kommen,
um der Augenblicksverhaftetheit des Liebens willen, in der die
Echtheit der Liebe des Liebenden ruht und die ihm im Be
kennen, im stets satzmäßigen Erklären zugrunde gehen würde,
wirklich zugrunde, zugrunde im »Gründen«; denn die Liebe
des Liebenden ist, im Gegensatz zur Liebe der Geliebten, die
ja in jener ihren Grund hat, grundlos. So zweifelte die Seele,
die bekennen möchte, noch, ob ihr Bekenntnis Aufnahme finden
werde. Erst indem sie aus dem Bekenntnis der Vergangenheit
sich in das Bekennen der Gegenwart hineinwagt, fallen die
Zweifel von ihr ab; indem sie ihre Sündhaftigkeit als noch
gegenwärtige Sündhaftigkeit, nicht als geschehene »Sünde«
bekennt, ist sie sich der Antwort gewiß, so gewiß, daß sie
diese Antwort nicht mehr laut zu hören braucht; sie vernimmt
sie in ihrem Innern; nicht Gott braucht sie von ihrer Sünde zu