OFFENBARUNG
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zu spüren, so fühlt er sich nun nach der Umkehr selber von
Schauern der Ehrfurcht überschauert und doch von ihnen ge
tragen. Das Wort des griechischen Theoretikers der Tragödie
und das Wort, das die Offenbarung, als sie griechisch reden
lernte, sich wählte, ist ein und dasselbe: Phobos. Die Ehr
furcht reißt die in der Kunst- und Scheinwelt der Tragödie
Getrennten, den Helden und den Zuschauer in eins; das leb
lose Bild wird nun selber erfüllt von dem Leben, das es bis
her bloß im Betrachter erweckt, und also lebendig; es kann
nun seinen Mund auftun und reden.
Demiitig=stolze Ehrfurcht, Gefühl der Abhängigkeit zu
gleich und des sicheren Geborgenseins, der Zuflucht in ewigen
Armen — siehe da, ist nicht auch dies wieder die Liebe? Nur
freilich nicht der Liebende ruht in solchem Bewußtsein,
sondern das Geliebte. Es ist die Liebe des Geliebten, die wir
hier beschreiben. Das Geliebte weiß sich also getragen von
der Liebe des Liebenden und darin geborgen. Was dem
Liebenden ein immer zu erneuernder Augenblick ist, das
Geliebte weiß es als ewig, immer und ewig. »Immer« ist das
Wort, das über seiner Liebe geschrieben steht. Sie ist nie
größer als im Augenblick, wo sie erweckt wird; sie kann
nicht mehr wachsen, aber sie kann auch nicht abnehmen, sie
kann höchstens sterben: das Geliebte ist treu. Sein Geliebt
sein ist die Luft, in der es lebt. Die Liebe des Liebenden ist
ein immer neu sich ihm entzündendes Licht; der Augenblick
des Aufleuchtens gibt ihr die Gegenwärtigkeit. Die Liebe des
Geliebten sitzt still zu den Füßen der Liebe des Liebenden;
ihr gibt Gegenwärtigkeit nicht der einzelne, immer neue
Augenblick, sondern die ruhige Dauer; weil sie sich »immer«
geliebt weiß, nur deshalb weiß sie sich geliebt in jedem Augen
blick. Nur der Liebende hat die Geliebte alle Tage ein
bißchen lieber; die Geliebte spürt in ihrem Geliebtsein nichts
von dieser Steigerung. Nachdem sie einmal die Schauer des
Geliebtseins überschauert haben, bleibt sie darin bis ans
Ende. Sie ist zufrieden, geliebt zu sein — was fragt sie nach
Himmel und Erde? Was fragt sie selbst nach der Liebe des