OFFENBARUNG
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griff des Glaubens. So notwendig, so wesenhaft, so eigen-
schaftlich wie diese wird im Islam die Offenbarung aus Gott
herausgesetzt.
Allahs Wesen ist jene Allliebe, die nicht sich in jedem
Augenblick der Liebe schrankenlos wegschenkt, sondern die
Offenbarung wie ein gegenständliches Geschenk aus sich
heraus der Menschheit gibt. Nicht willkürlich ist die Gabe;
alles Augenblickliche — und das wäre ja die Willkür — bleibt
ihr fern. Gott ist der Erbarmer, jede Sure des Korans sagt es;
das Erbarmen ist seine Eigenschaft, sie strahlt wesenhaft über
alle Menschen, alle Völker aus. Der Koran weist den Ge
danken der parteiischen Bevorzugung, etwa eines Volkes,
aus dem Begriffe Gottes ab. Jedem Volk, nicht etwa den
Arabern allein, hat Allah einen Propheten gesandt, jeder von
ihnen lehrte sein Volk die ganze Glaubenswahrheit; daß
diese Wahrheit dennoch heute bei den meisten Völkern ver
stummt oder verzerrt ist, muß dann freilich erklärt werden;
doch liegt die Erklärung nah: jene Völker haben eben den
Propheten nicht geglaubt; an ihnen liegt es, wenn sie die
Offenbarung nicht festhielten; Allah hat sie auch ihnen ge
geben so gut wie jetzt dem Volke Muhameds. Um diese
Fiktion aufzustellen, müssen Prophetengestalten der Ver
gangenheit und das Schicksal dieser Gestalten frei erfunden
werden; die Grundansicht verlangts: Allah muß sich offen
baren; das ist sein Wesen, »barmherzig« zu sein, und so hat
er sich offenbart. »Barmherzig« muß man jenes Wort des
ersten Verses der Suren wohl übersetzen; denn es ist hier
aus dem lebendigen Leib der heiligen Sprache, wo es
zwischen Menschen und vom Menschen zu Gott so gut ge
braucht werden kann wie von Gott zum Menschen, heraus
geschnitten und auf die letztgenannte, spezifisch theologische
Anwendung beschränkt, bedeutet also nicht mehr die Liebe
überhaupt, sondern eine Liebe, die nur von Gott zum Men
schen gehen kann, also eben nur das Erbarmen. Und voll
ständig ist diese Offenbarung von Anfang an; schon dem
Adam und so allen folgenden Propheten hat Gott den »Islam«