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ZWEITER TEIL: ZWEITES BUCH
Wort »Gewesen«, aufdrückt, ihm sagt die Liebe Kampf an,
sie, die einzig Gegenwart kennt, von Gegenwart lebt, nach
Gegenwart schmachtet. Der Schlußstein des dunkeln Ge
wölbes der Schöpfung wird zum Grundstein des lichten
Hauses der Offenbarung. Die Offenbarung ist der Seele das
Erlebnis einer Gegenwart, die auf dem Dasein der Vergangen
heit zwar ruht, doch nicht darin haust, sondern im Lichte des
göttlichen Antlitzes wandelt.
G ott der Lebendige, zu dem, sofern er nicht grade schläft
oder über Feld gegangen ist, die Heiden schreien, hatte
sich in der machtvollen Weisheit seiner Schöpfertat als Gott
des Lebens aufgetan. Darin ist jene einst in Gottes mythische
Lebendigkeit eingemündete schrankenlose Macht wieder her
vorgetreten, aber gewendet von augenblicksverhafteter Will
kür zu wesenhaft dauernder Weisheit. Was aus Gottes
»Nichts« als Selbstverneinung dieses Nichts sich hervor
gerungen hatte, trat nach dem Eingehen in Gottes lebendiges
»Etwas« aus diesem heraus, nicht mehr als Selbstverneinung,
sondern als Weltbejahung. Gottes Lebendigkeit wurde so
gewissermaßen abermals zum Nichts, einem Nichts höherer
Stufe, Nichts nur mit Bezug auf das, was ihm entsprang, in
sich aber ein Nichts voller Charakter, eben kein Nichts,
sondern ein Etwas. Nichts war sie nur darin, daß sie, indem
sie sich auftat, sofort in neue Gestalten auseinanderbrach, von
denen wir die eine, die wesenhafte Macht, schon kennen
lernten; denn diese neuen Gestalten haben nichts Benennbares
hinter sich, woraus sie hervorgefahren wären; wollte man
Gottes Lebendigkeit als diesen Hintergrund etwa der offen
baren Schöpfermacht ansprechen, so müßte dem mit Recht
entgegnet werden, daß nicht aus der mythischen Lebendigkeit
des verborgenen Gottes, sondern erst aus ihrer Umkehrung
ins Offenbare jener Hervortritt geschehen konnte; für diese
Umkehrung aber fehlt der Name; sie ist gewissermaßen nur
der geometrische Punkt, aus dem der Hervortritt geschieht.
Zwar war sie auch »vor« der Umkehrung nur ein solcher
geometrischer Punkt, das Zusammentreten der beiden Stücke,