SCHÖPFUNG
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ins Offenbare vorausetzt, also ganz in einem »Identitäts«=Ver-
hältnis zur Offenbarung steht, gleich wie nach dem Grund
dogma des Idealismus das »Denken« zum »Sein«, so entspringt
die Kunst unmittelbar ihren .Wesenselementen, wie sie im
Dämmer der Vorwelt aufgetaucht sind. Das »Mythische«,
»Plastische«, »Tragische«, die geschlossene Ganzheit nach
außen, die rahmengleich das Sein aus allem andern heraushebt,
der Zusammenhang der inneren Form, der allen Reichtum der
Einzelheiten des Kunstwerks zusammenhält, der menschliche
Gehalt, der dem Schönen Sprachkraft verleiht, über diesen
drei Grundpfeilern unmittelbar wölben sich die Bogen, die,
indem sie je zwei verbinden und ineinander überführen, das
Kunstwerk aufbauen. Unmittelbar auf dem Hervorgang des
Einzelnen aus einem Ganzen ins Freie, unmittelbar also
gewissermaßen auf der Erschaffung eines ästhetisch reichen
Wirklichen aus einem ihm vorausgehenden Vorästhetischen,
beruht der Anfang vom Lebenstag des Kunstwerks, die Schöp
fungsreihe der Grundbegriffe, deren erste hier in Kürze über
blickt werden mögen.
Die Schöpfung des Kunstwerks geschieht im Urheber. Es
ist nicht so, daß der Urheber das Kunstwerk schafft; das
widerspräche dem schon in Platons Jon ausgesprochenen und
vom Idealismus mit Recht stark betonten unbewußten Werden
des Werks. Aber das Hervorbrechen des Kunstwerks setzt
das Gewordensein des Urhebers voraus. Der Urheber ist
zwar nicht etwa der Schöpfer des Werks, aber sein Geschaf
fenwordensein ist die Schöpfung, die dem Hervortreten des
Kunstwerks vorangeht, wie andrerseits das Werk sich erst in
dem Geschehn, das im Betrachter vorgeht, zu seiner eigent
lichen Lebendigkeit vollendet. Der Urheber fällt so wenig
wie sonst ein Meister fertig vom Himmel; Genie ist durchaus
nicht, wie die allgemeine Bildung heute meint, angeboren,
sondern, weil auf dem Selbst und nicht bloß in der Persön
lichkeit beruhend, überfällt es den Menschen eines Tages;
Wunderkinder sind keine Genies und haben nicht mehr Aus-